Verzeihen
Ein Auto war vorgefahren. Es war ungewöhnlich, denn es
verirrte sich kaum jemand hierher. Wohl gab es immer mehr, die sich ab und an aus
dem Trubel verabschieden und die Abgeschiedenheit aufsuchen wollten. Es hatte
doch eine eigene Ausstrahlung, das Waldviertel, mit seiner Weite und auch
Verlassenheit. Natürlich gab es auch Städte, aber auch viele kleine
Ortschaften, die nach und nach ausstarben. Es gab keine Arbeit, und damit keine
Zukunft. Keine Möglichkeit seine Familie zu ernähren. Keine Aussicht darauf.
Vielleicht, dass noch manche die Strapazen auf sich nahmen und pendelten, doch
immer mehr wollten das nicht mehr und siedelten sich dort an, wo sie Arbeit
fanden. Zurück blieben die Alten.
Vielleicht, dass es noch einen Lebensmittelmarkt im Ort gab. Dann hatte man Glück. Viele sperrten zu, weil die Besitzer zu alt waren es weiterzuführen und die Jungen kein Interesse daran hatten es weiterzuführen, weil es zu wenig einbrachte, zu wenig um vom Verdienst leben zu können. Dann holten sich die Alten, die nicht mobil waren, ihre Lebensmittel vom Wirten. Der sprang oftmals ein um die Lücke zu schließen, die die Schließung des Lebensmittelmarktes hinterlassen hatte. Wenn der Wirt in den Großmarkt fuhr, dann nahm er die Sachen mit. Mehl, Zucker, Reis. Sie brauchten nicht mehr viel, die Alten. Die meisten hatten ihren Gemüsegarten hinter dem Haus und verstanden sich noch aufs Einlegen und Konservieren. Vorräte anlegen für den Winter, wenn es nichts zu ernten gab. Doch das Wissen ging nach und nach verloren. Es starb mit ihnen weg. Ein einst selbstverständliches Wissen, mit dem auch ein Stück Unabhängigkeit mitstarb. Irgendwann musste auch der Wirt seine Pforten schließen. Keine Gäste mehr, oder viel zu wenige. Dann gab es nichts mehr im Ort, als alte Menschen, die nun darauf angewiesen waren, dass ihre Verwandten kamen um sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Wenn sie das Glück hatten Verwandte zu haben, die sich kümmerten.
Vielleicht, dass es noch einen Lebensmittelmarkt im Ort gab. Dann hatte man Glück. Viele sperrten zu, weil die Besitzer zu alt waren es weiterzuführen und die Jungen kein Interesse daran hatten es weiterzuführen, weil es zu wenig einbrachte, zu wenig um vom Verdienst leben zu können. Dann holten sich die Alten, die nicht mobil waren, ihre Lebensmittel vom Wirten. Der sprang oftmals ein um die Lücke zu schließen, die die Schließung des Lebensmittelmarktes hinterlassen hatte. Wenn der Wirt in den Großmarkt fuhr, dann nahm er die Sachen mit. Mehl, Zucker, Reis. Sie brauchten nicht mehr viel, die Alten. Die meisten hatten ihren Gemüsegarten hinter dem Haus und verstanden sich noch aufs Einlegen und Konservieren. Vorräte anlegen für den Winter, wenn es nichts zu ernten gab. Doch das Wissen ging nach und nach verloren. Es starb mit ihnen weg. Ein einst selbstverständliches Wissen, mit dem auch ein Stück Unabhängigkeit mitstarb. Irgendwann musste auch der Wirt seine Pforten schließen. Keine Gäste mehr, oder viel zu wenige. Dann gab es nichts mehr im Ort, als alte Menschen, die nun darauf angewiesen waren, dass ihre Verwandten kamen um sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Wenn sie das Glück hatten Verwandte zu haben, die sich kümmerten.
Es war ein Auto vorgefahren. Maria und Uwe widmeten sich der
Stallarbeit. Sie nahmen es nur am Rande wahr. Es war nicht wichtig. Sie
erwarteten niemanden. Erst als sie den Stall verließen und zum Haus
zurückgingen, erkannten sie es. Maria konnte es kaum glauben, doch als sie das
Haus betrat, sah sie, dass es wirklich so war.
„Grüß Gott, Maria“, wandte sich die Besitzerin des Wagens
direkt an sie, ihre Worte mit einem abschätzigen Blick begleitend, „Wie siehst
Du denn aus?“
Marias Mutter saß, kapriziert wie immer, auf der äußersten
Ecke der Holzbank, peinlichst bemüht mit so wenig wie möglich in Berührung zu
kommen.
„Hallo Mutter“, entgegnete Maria knapp, die alles andere als
angetan war von diesem überraschenden Besuch, „Ich sehe so aus, wie man eben
aussieht, wenn man Stallarbeit erledigt. Das macht man im Allgemeinen nicht im
Kostümchen.“
„Stallarbeit?“, entfuhr es Marias Mutter, wobei sie sich
offenbar nicht sonderlich anstrengen musste um diesem Wort einen Beigeschmack
des Unanständigen zu verleihen, „Aber das ist doch keine Arbeit für eine
gebildete Frau. Solche Arbeit verrichtet nur das niedrige Volk.“
„Stallarbeit ist eine durchaus ehrbare Arbeit“, erklärte
Maria wie nebenbei, „Daran gibt es nichts auszusetzen.“
„Natürlich ist sie nicht unanständig“, lenkte Marias Mutter
ein, „Aber es ist doch trotzdem nichts für Dich. Wozu habe ich Dich denn so
viel lernen lassen, meinst Du? Dass Du dann als Stallknecht endest, dafür ganz
bestimmt nicht.“
„Nein, dafür nicht, sondern um einen Herrn Doktor zu
heiraten, zumindest einen Doktor, sollte es schon kein Professor werden oder
sonst irgendwer ganz Wichtiges oder Repräsentatives“, entgegnete Maria lapidar.
„Ja, und das war doch nur, dass Du eine Zukunft hast, ein
gutes Leben und alle Annehmlichkeiten, die einem Spross unserer Familie
eigentlich zustehen“, meinte Marias Mutter, die überzeugt davon war, dass ihre
Tochter sie nun doch verstand, „Also kann ich davon ausgehen, dass Du hier nur
eine Weile Urlaub machst und dann wieder ganz normal weitermachst.“
Marias Mutter war schon im Begriff zu gehen, doch die
Antwort ihrer Tochter führte dazu, dass sie sich wieder setzen musste, einer
Ohnmacht nahe.
„Nein, ich bin nicht auf Urlaub hier, sondern ich werde hier
bleiben und mein Leben hier verbringen“, erklärte Maria sachlich.
„Aber das kannst Du doch nicht machen“, stieß es
konvulsivisch aus ihrer Mutter hervor, „Das kannst Du doch mir nicht antun.“
„Liebe Mutter, was ist das, was sich Mütter für ihre Kinder
wünschen?“, fragte Maria unvermittelt.
„Dass sie ein gutes Leben haben“, meinte Marias Mutter, doch
ihre Antwort wankte.
„Eben, und dass sie glücklich sind. Hier habe ich mein Glück
gefunden und ein gutes Leben“, erklärte Maria gelassen.
„Nein, das ist aber nicht richtig. Das kann Dich nicht glücklich
machen und es ist auch kein gutes Leben“, erklärte die Mutter erbost, „Du wirst
nach Weihnachten diesen Ort wieder verlassen und Dein altes Leben wieder
aufnehmen, sonst ....“
„Sonst was?“, fragte Maria, ein klein wenig amüsiert. Hätte
sie je auch nur die Hoffnung gehegt, ihre Mutter würde sie verstehen, dann
hätte sie enttäuscht sein müssen, aber diese Hoffnung hatte sie nie gehabt,
„Schau“, und ihr Ton klang nun sehr weich und versöhnlich, „Jeder hat seine
eigene Vorstellung von einem Leben, von dem, wo er sich wohl und zu Hause
fühlt, vom Glück. Meines ist hier, und wenn Du das nicht verstehst, dann kann
ich das nachvollziehen, aber Du könntest es zumindest respektieren.“
„Natürlich kann jeder eigene Vorstellungen haben, aber das
ändert nichts daran, dass meine richtig ist“, sagte Marias Mutter energisch,
„Und Du bist mein Kind, ich werde wohl wissen, was gut für Dich ist.“
„Ja, ich bin Dein Kind, und das wird auch für immer so sein.
Daran lässt sich nichts ändern, aber ich bin mittlerweile erwachsen und treffe
meine eigenen Entscheidungen“, erklärte Maria, „Und diese Entscheidungen hast
Du zu respektieren, auch wenn sie Dir nicht gefallen.“
„Ich werde Dich enterben“, stieß Marias Mutter hervor.
„Mach das“, sagte Maria achselzuckend.
„Du bist nicht mehr meine Tochter!“, schrie sie nun, alle
Contenance vergessend.
„Das ist zwar sehr traurig“, erklärte Maria ungerührt, „Aber
auch daran kann ich nichts ändern, und das ist Deine Entscheidung. Ich werde
sie respektieren, so wie ich Dich respektiere, trotz allem, und ich verzeihe
Dir, denn ich weiß wie sehr Du vom Nebel verhüllt bist.“
„Aber ich werde es Dir nie verzeihen!“, stieß Marias Mutter
noch nach.
„Auch das liegt in Deinem Ermessen“, meinte Maria, „Es ist
zwar traurig, aber es ist wie es ist.
Wutentbrannt stürmte Marias Mutter aus dem Haus und brauste
davon. Maria sah dem Wagen versonnen nach, auch noch, als er längst nicht mehr
zu sehen war.
„Es ist gut, dass Du ihr verzeihst“, meinte Magdalena, die
Stille durchbrechend.
„Es ist gut, für mich selbst, denn das Nicht-Verzeihen
belastet mich und trübt meine Gedanken, macht mich unfrei“, erklärte Maria,
„Verzeihen ist eine Last hinter sich zu lassen und frei und unbelastet
weitergehen zu können.“
„Wenn Du verzeihst, dann lass es geschehen und denk nie mehr
an das Geschehene, zumindest nicht im Groll, denn dann ist das Verzeihen bloß
eine leere Worthülse“, sagte Uwe, „Und vor allem mach den, dem Du verzeihst,
nicht zu Deinem Schuldner, denn damit wandelst Du das Verzeihen von einer
selbstlosen Tat in eine Leistung, für die sich der andere dankbar erweisen
muss. Damit machst Du den anderen klein.“
„Nein, das werde ich nicht, denn es geht nicht um Verdienst,
sondern um die Möglichkeit aus einer belasteten Beziehung eine unbelastete zu
machen, sie quasi wieder in den Urzustand der Unschuld zurückzuversetzen, als
würde man völlig neu anfangen.“
Ein neuer Anfang, ein neues Leben. Vielleicht würde selbst
Marias Mutter irgendwann verstehen, doch bis es so weit war, würde das
Webschiffchen dem Webbild des Lebens noch etliche Reihen hinzufügen. Und es war
der Abend des zweiundzwanzigsten Advents.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen