Mama, wo bist Du?
Wenn ich in
der Früh aufstehe, bin ich allein. Mama
ist schon weg, früher als sonst. Ausnahmsweise, hat sie gesagt. Aber am nächsten Tag werden wir miteinander
frühstücken oder den Tag danach oder
irgendwann. Ich gehe alleine zur Schule und am späten Nachmittag alleine nach Hause.
Still ist es in der leeren Wohnung. Ich wärme mir das Essen. Wenn was da ist.
Manchmal kocht Mama vor. Meistens hat sie keine Zeit. Wenn sie keine Zeit
hatte, dann esse ich eben nichts. Ich setze mich vor den Fernseher. Mama hat
gesagt, sie komme um sechs Uhr nach Hause. Ich freue mich darauf, freue mich
darauf nicht mehr allein zu sein, darauf mit meiner Mama Zeit zu verbringen.
Ich möchte ihr erzählen, davon was in der Schule
passierte und von dem neuen Mädchen in unserer Klasse und von dem Lob, das ich für meinen Aufsatz bekommen habe.
Mama, ich habe ihn für Dich geschrieben, möchte ich sagen. Um sieben Uhr höre ich wie die Haustüre aufgemacht wird. Endlich. Ist doch egal ob sechs oder sieben Uhr,
Hauptsache Du bist da, Mama, denke ich mir. Ich laufe zur Türe. Mama trägt den Einkaufskorb und ihre
Aktentasche und ihre Handtasche. "Geh weg!", faucht sie mich an,
"Das ist schwer!" Gehorsam trete ich zur Seite. Mama läuft in die Küche. Ich stelle mich zu ihr und
beginne zu erzählen. Ab und zu brummt sie Aha und Mhm, doch bald schon merke ich, sie hört mir nicht zu. Ihre Gedanken sind
weit, weit weg. Enttäuscht drehe ich mich um und gehe in mein Zimmer. Ob sie es überhaupt bemerkt hat? Ich lege mich
ins Bett und versuche zu lesen, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Ich höre, dass Papa nach Hause kommt und
kaum fünf Minuten später streiten sie sich. Ich drücke mir den Polster an die Ohren.
Ich will das nicht hören. Irgendwann muss ich dann wohl eingeschlafen sein. Niemand hat nach
mir gesehen, niemand sich darum gekümmert ob ich da bin oder nicht.
Ich möchte doch nur, dass Du mich ab und
zu in den Arm nimmst, Mama.
Ich möchte doch nur, dass Du mir ab und
zu zuhörst, Mama.
Ich möchte doch nur, dass Du ab und zu
Zeit hast für mich, Mama.
Ich möchte doch nur, dass Du mich lieb
hast, Mama.
Tag um Tag
warte ich. Bis ich wegbleibe, einfach so. Ich bin mit meinen Freunden zusammen.
Was wir machen? Hat es Dich denn je interessiert was ich mache? Wolltest Du
denn je wissen was ich denke? Hast Du mich je danach gefragt was ich fühle? Hättest Du denn je an meinen
Hoffnungen teilnehmen wollen?
Mein Freund
nimmt mich jetzt in den Arm.
Meine Freunde
hören mir zu.
Meine Freunde
haben Zeit für mich.
Meine Freunde
haben mich lieb.
2 Kommentare:
Sehr schön, Nyx. Und leider kommt das Ganze viel zu oft auch in der Realität vor. LG Pat
Danke Dir! Du hast völlig recht, viel zu oft. Ich denke nun mal, man hat eine große Verantwortung, wenn man Kinder in die Welt setzt und wenn man das mit seinem Lebensentwurf nicht zu vereinbaren vermag, dann soll man es doch bitte bleiben lassen. Lg Nyx
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