Mit dem Esel gehen
Er tut sich gerade am Heu gütlich, als ich die
Weide betrete. Völlig vertieft in sein Tun wirkt er, doch für den aufmerksamen
Beobachter ist klar, dass er mein Kommen längst bemerkt hat, denn ein Ohr ist
in meine Richtung gewendet. Obwohl er unbeirrt weiter frisst, verfolgt er meine
Schritte. Direkt gehe ich auf ihn zu. Wachsam bleibt das Ohr. Beständig in
Arbeit das Maul. Heu aus dem aufgehängten Sack zupfen, kauen, schlucken.
Ich streiche ihm wohlwollend über den Hals. Er
fühlt sich warm und weich an. Tatsächlich, ein kurzer Blick auf mich. Ein
Wiedererkennen. Er wendet sich aber sofort wieder dem Heu zu. Er ist sich jetzt
sicher, dass ich was mit ihm vorhabe. Schnell noch fressen. Dann lege ich ihm
den Halfter an. Er lässt es geschehen. Dann kann er schon wieder weiterfressen.
Erst als ich den Strick am Halfter befestige und ihn sanft vom Heusack
wegziehe, weiß er, dass ich es ernst meine. Rasch noch einmal zupfen. Ein
Schwanken zwischen Folgen oder Bleiben. Er entscheidet sich dafür mitzugehen.
Erst als wir das Tor hinter uns lassen, geht sein Blick zurück, zum Heusack, zu
den Gefährten.
„Warum holst Du mich weg, von der Weide, vom
Heusack, von meinen Gefährten?“, scheint er sich zu fragen, „Ich hatte noch so
viel vor, und Du holst mich weg. Warum sollte ich mitgehen, einen Weg gehen,
den Du bestimmst und nicht ich? Ich wäre ja gar nicht weggegangen, so lange es
etwas zu fressen gibt und meine Herde. Es besteht kein Grund wegzugehen.“
„Warum hole ich Dich von der Weide, vom prall
gefüllten Heusack und von Deinen Gefährten, weg auf einen Weg, der mich doch
wieder nur zurück führt?“, frage ich mich, „Ich habe alles stehen und liegen
gelassen, einfach so, bloß um hierher zu kommen, einen Esel von der Weide
wegzuholen und mit ihm fortzugehen, bloß um wieder genau hierher zurück zu
kommen. So viel Arbeit. So viel zu tun. Immer. Die Zeit wird mir abgehen. Ich
hätte in der Zeit manches erledigen können, das jetzt liegen bleibt. Eigentlich
hätte ich weiter laufen sollen, im Rad, immer weiter. Es ist schon beinahe
anstößig all das Notwendige zu verschieben, bloß um einen Esel von der Weide
wegzuholen und mit ihm von einer Stelle wegzugehen und zur selben
zurückzukehren.“
Aufmerksam wendet er mir jetzt beide Ohren zu.
Der Blick geht noch einmal zurück. Ein letzter Versuch, den Kopf gesenkt um das
Gras am Wegrand abzurupfen, doch da kommt ein kurzer Zug am Strick, und er
weiß, dass wir jetzt gehen und nicht stehen und Gras abzupfen. Ein paar
Schritte weiter probiert er es noch einmal, probiert so lange, bis er davon
überzeugt ist, dass ich es ernst meine mit dem Gehen. War ich mir denn sicher?
Wollte ich wirklich gehen? Er probiert, weil er meine eigene Unsicherheit
spürt, doch dann, mit einem Mal gehen wir einfach, einen Schritt um den
anderen. Die Weide ist nicht mehr zu sehen. Sie liegt außerhalb unserer
Wahrnehmung. Die Arbeit, die wartet und nicht wegläuft, liegt hinter mir. Sie
entschwindet meinen Gedanken. Ich bin angekommen. Die Hände am Strick, gehe
ich, Huf an Fuß. Esel mit Mensch. Gleichmütig gehen wir nebeneinander her. Fast
im Gleichklang. Den Kopf hat er gesenkt und geht. Ich sehe die Landschaft und
das was mich umgibt. Wortlose Entsprechung. Vier Hufe und zwei Füße. Ich
beginne zu sehen, die Blätter am Boden und den Weg, dem wir folgen, die
Sonnenstrahlen zwischen den Blättern und die Bäume, wie sie sich gen Himmel
erheben. Ich spüre das Einverständnis, das zwischen uns herrscht. Es ist nicht
mehr wichtig, was sonst ist. In dem Moment ist es nicht wichtig und darf nicht
wichtig sein, denn jetzt sind wir hier und gehen. Wir haben uns eingelassen,
auf den Weg, auf uns und aufs Hier-sein. Die Gedanken, die wild
durcheinanderwirbelten, beruhigen sich, setzen sich ab und die Verbundenheit
mit dem Gegebenen umfängt mich. So gehen wir, einfach weil wir gehen. Nichts
weiter, und doch vielleicht näher am Sein, am Leben selbst als in der
Zerrissenheit des Alltags. Schritt um Schritt. Huf an Fuß. In aller Ruhe. In
aller Stille.
Erst als die Weide wieder in sein Blickfeld
kommt, da will er zurück, zum Heusack, zu den Gefährten. Sobald das Halfter und
der Strick weg sind, läuft er, seiner Freude lautstark Ausdruck verleihend zu
den anderen. Ich sehe ihm noch nach.
Es ist gut wegzugehen. Es ist gut anzukommen.
(Wer es selbst ausprobieren möchte, mit dem
Esel zu gehen, der kann das hier machen: www.hof-sonnenweide.at)
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