Wenn der Wahnsinn drei Mal klingelt
Als der Wahnsinn das erste Mal bei mir
klingelte, vor mittlerweile etlichen Jahren, da öffnete ich die Türe, weil es
sich nicht gehört nicht zu öffnen, wenn jemand an der Türe steht und Einlass
begehrt. Und selbst dem Wahnsinn gegenüber ist Höflichkeit geboten, denn
schließlich macht er auch nur seine Arbeit. Ich öffnete, aber ich ließ ihn
nicht ein.
„Grüß Gott, Wahnsinn“, grüßte ich, höflich,
doch ausweichend, denn obschon ich doch Umgang pflege, weiß ich noch immer
nicht genau zu bestimmen, ob der Wahnsinn nun männlich oder weiblich ist. Ich
neige ja zu der Ansicht, sowohl als auch, aber wie spricht man ein Sowohl-als
auch an? Jedenfalls wollte ich ihm nicht zu nahe treten, so dass ich unbestimmt
blieb, jedoch desto bestimmter bei meinem Standpunkt, als ich fortfuhr, „Ich
bin noch nicht so weit, Sie zum Tee hereinzubitten.“
„Grüß Gott“, entbot er meinen Gruß, „Darüber
bin ich selbstverständlich informiert. Ich wollte aber dennoch einmal
persönlich vorbeischauen, damit Sie sich sicher wären, dass ich da bin.“
Sprachs, zog grüßend den Hut und verschwand.
Versonnen sah ich ihm nach. Nein, ich war noch
nicht so weit oder nicht mehr. Um mich mit drei Jahren die Treppenstufen
hinunterzustürzen um weiteres Wachstum zu verhindern, dazu war ich leider schon
zu alt. Dem Wachstum auf Erwachsenengröße hatte ich nichts entgegen gesetzt.
Ebenfalls zu alt war ich magersüchtig zu werden, um damit die Ausformung meines
Körpers auf einen augenscheinlich weiblichen zu verhindern. Für alle anderen
Formen hatte ich noch nicht genug Lebenserfahrung angesammelt.
Als der Wahnsinn das zweite Mal bei mir
klingelte, vor wenigen Wochen erst, da öffnete ich die Türe, weil ich seinen
Besuch schon erwartet hatte, und bat ihn herein mit mir Tee zu trinken. Wir
plauderten recht freundlich und erfreulich miteinander. Nachdem – wiederum der
Höflichkeit geschuldet – die Informationen bezüglich des persönlichen Befindens
ausgetauscht wurden, war es uns möglich in ein angeregtes Gespräch
überzuwechseln.
„Haben Sie viel zu tun?“, fragte ich
leichthin.
„Ja, sehr viel“, antwortete der Wahnsinn
spontan, um dann einen Moment inne zu halten und zu ergänzen, „Es ist wohl
nicht die Menge der Arbeit, die mir das Leben schwer macht.“
„Ach tatsächlich“, erwiderte ich teilnahmsvoll,
doch noch ohne zu verstehen, „Wenn es nicht der Umfang ist, was kann es denn
dann sein?“
„Die Menge bleibt immer ungefähr gleich. Ein
bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung, und nachdem die Bevölkerung wächst,
wächst auch der Anteil“, erklärte er nachdenklich, „Aber die Menge wäre
bewältigbar, wären die Menschen nicht so uneinsichtig. Da gibt es immer mehr,
die sich einbilden meine Dienste in Anspruch nehmen zu müssen, die sich aber
als völlig unbrauchbar erweisen, und dann gibt es die, die sich mit Händen und
Füßen wehren. Früher, ja da war es einfacher, da wussten die Menschen noch
Bescheid und fügten sich in ihr Schicksal.“
„So gesehen kann ich ihren Kummer verstehen“,
erklärte ich mit Überzeugung.
„Nun, man muss seine Aufgabe so gut bewältigen,
wie man eben kann, sag ich immer“, sagte er auch diesmal.
„Wie wahr, denn wenn wir unserer Bestimmung
nicht mehr folgen, dann sind wir ziellos in dieser Welt“, stimmte ich ihm zu,
woraufhin wir versonnen aus dem Fenster sahen.
Nach weiteren drei Tassen Tee, dem
einvernehmlichen Wechsel der Ansprache von Sie auf Du, verabschiedete sich der
Wahnsinn. Ich hatte genügend Zeit mich vorzubereiten.
Als der Wahnsinn das dritte Mal und drei Mal klingelte, da öffnete ich ihm
die Türe, wie einem alten, guten Bekannten, der er mittlerweile ja auch schon
fast war. Ich bat ihn herein und zeigte ihm sein Zimmer, das er fürderhin
bewohnen würde. Er setzte sich ans Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Ich
stellte das Teewasser auf. Alles war wie immer.
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