Die Geschäftsfrau
„Stattdessen hat sie uns großgezogen, mich und meine beiden
Schwestern, und auch über diese Zeit gibt es eigentlich nicht viel zu berichten,
nicht mehr und nicht weniger als es eben über die Alltäglichkeit zu berichten
gibt. Statt Rat, schenkte sie uns Vertrauen zu unseren Entscheidungen und wohl
auch den Mut diese durchzutragen, und so kam der Tag, an dem es sich erweisen
sollte, die Wurzeln, ob sie Halt gefunden hatten, die Flügel, ob sie stark
genug seien sich selbst im Sturm zu bewähren. Wir drei, wir gleichen einander
wie ein Ei dem anderen, jedoch nur äußerlich, denn ansonsten sind wir so
vierschieden wie Menschen nun mal verschieden sind. Sabrina sah ihr Talent
darin Geschäfte zu betreiben. So begann sie, indem sie in unserer Heimatstadt
einen Drogeriemarkt eröffnete. Mittlerweile besitzt sie etliche Filialen im
ganzen Land und vielleicht auch schon im Ausland. Irgendwann habe ich den
Überblick verloren. Wahrscheinlich, weil es mich nicht weiters interessierte,
und auch, weil wir uns darüber aus den Augen verloren haben. Solch eine
Expansion ist wohl nur mit 100%igem Einsatz zu erreichen, Einsatz, Fleiß und
Beharrlichkeit. Ab und zu kam sie vorbei, doch jedes Mal musste sie auch schon
wieder weg, kaum, dass sie angekommen war, wobei ich nicht einmal sicher bin,
ob sie überhaupt ankommt oder sie nicht vielmehr mit den Gedanken und dem
Interesse ganz woanders ist. Ich fragte sie ob sie glücklich sei, eines Tages.
Ohne auch nur einen Moment zu zögern bejahte sie diese Frage, denn schließlich
hatte sie ja das, was sie immer angestrebt hatte, und da könne es keinen Irrtum
geben. Zeit für Freunde oder Familie habe sie natürlich nicht, doch sie habe
etwas viel Verläßlicheres als die Gunst der Menschen, das Werk ihrer Hände und
ihres Kopfes. Ob sie denn niemals einsam sei, wollte ich sie noch fragen, doch
da läutete schon wieder das Telephon und sie musste weg. Vielleicht werde ich
irgendwann die Gelegenheit haben sie zu fragen, all das, was ich nicht
verstehe, und ich will verstehen, nicht irgendetwas, sondern sie. Es ist nicht
mein Weg, den sie gegangen ist, nicht mein Bestreben all diese persönlichen
Opfer, bei dem so vieles auf der Strecke bleibt. Sie ist reich und unabhängig,
und doch auch arm und abhängig. Ist es möglich das durchzutragen, ein ganzes
Leben lang? Ist sie wirklich glücklich, oder deckt sie sich absichtlich so
derart mit Arbeit ein, dass sie keine Minute Zeit hat darüber nachzudenken?
Aber vielleicht ist es auch der falsche Ansatz, die Frage nach dem Glück, und
der richtige wäre einfach die Zeit zwischen Anfang und Ende so souverän wie
möglich zu überbrücken, und nichts weiter. Nichts weiter!“
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