1309 Lass mich einfach nur da sein


Lass mich einfach nur da sein


Verstohlen, wie der Dieb in der Nacht, wie die heimliche Geliebte, stehle ich mich zu Dir. Du schläfst. Ich höre Deinen gleichmäßigen Atem und sehe Deine ruhigen Gesichtszüge. Entspannt liegst Du, weich gebettet. Vorsichtig, ganz vorsichtig schlüpfe ich zu Dir unter Deine Decke, denn ich will nicht, dass Du aufwachst, bloß nicht, dass Du aufwachst. Nicht, dass ich Deine wache Gegenwart nicht wollte, aber der Schlaf lässt Deine Züge weich und sanft werden. Ich will Dich nicht herausreißen, nicht jetzt. Seit Stunden schon finde ich keine Ruhe und keinen Halt für meine Gedanken. Seit Stunden treibt mich eine unerkannte Unzufriedenheit, die sich nicht umgehen lässt, die mich weiter zwingt, immer weiter und weiter, um dennoch nichts Ordentliches auszurichten, weil meine Gedanken herumschwirren wie ein Schwarm wildgewordener Bienen. Wut steigt in mir auf, Wut über die Unfähigkeit mich selbst unter Kontrolle und auf ruhige Bahnen zu lenken. So durchwandere ich die Nacht, oder besser ich hetze durch sie hindurch, als wäre ich auf der Flucht – doch mir selbst kann ich nicht entkommen. So komme ich zu Dir.

Verstohlen, wie der Dieb in der Nacht, wie die heimliche Geliebte, stehle ich mich zu Dir, und schlüpfe zu Dir unter Deine Decke. Langsam beginnen sich die Wogen in mir zu glätten und die Wolken verziehen sich. Lass mich einfach da liegen, neben Dir liegen, während Du schläfst. Du sollst es gar nicht wissen, dass ich da bin. Unbehelligt will ich sein in meinem da sein, auch von Dir, will nichts weiter, als Dich ansehen und Dich mir nahe spüren, mich wärmen an Deiner Wärme, mich träumen in Deine Träume, mich verlieren in Deiner Nähe, denn hier komme ich endlich zur Ruhe. Alles was ich auf mich häufen ließ an diesem langen, langen Tag, kann ich zur Seite schieben, kann spüren, wie ich leicht werde. Nicht, dass ich mich nicht angenommen wüsste, wenn Dein Blick auf mich gerichtet ist und Du mir Deine Annahme wortlos sprichst, aber ich will das Geheimnis wahren, das hinter Deinen verschlossenen Augenlidern wohnt, ohne es enträtseln zu wollen, will einfach da sein, bei Dir.

Verstohlen, wie der Dieb in der Nacht, wie die heimliche Geliebte, stehle ich mich zu Dir. Du schläfst ruhig weiter, auch nachdem ich zu Dir unter Deine Decke schlüpfte. Wie schön, Du bist tatsächlich nicht aufgewacht. Keine Veränderung ist an Dir zu erkennen. Ich liege auf der Seite und sehe Dich einfach nur an. Verspüre Lust, Dir die Locke, die sich über Deine Wange gelegt hat, wegzustreichen. Verspüre Lust, Dir ein Lächeln abgewinnen zu wollen. Aber war es da nicht? Hat sich da nicht ein kleines Lächeln gezeigt? Schläfst Du vielleicht doch nicht? Spielst Du mir nur etwas vor? Aber nein, ruhig und gleichförmig geht Dein Atem. Vielleicht spürst Du mich bei Dir bis hinein in die Welt Deiner Träume, in die Welt des Schlafs. Vielleicht ist es auch gut für Dich, dass ich da bin, ohne, dass Du aufwachst.

Verstohlen, wie der Dieb in der Nacht, wie die heimliche Geliebte, stehle ich mich zu Dir.
Sanft gebettet unter Deiner Decke und Deiner Nähe, wandelt sich der Sturm, der in mir tobt in eine sanfte Brise und die Gedanken, die mich verwirrten, finden wieder Halt. Ich will nichts als da sein, wenn Du schläfst, nichts als da sein, auch wenn Du mich nicht bemerkst, nichts als da sein und teilhaben an Dir.

Lass mich einfach nur da sein.

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