Es gibt eine Türe, aber es gibt keinen Türhüter. Früher haben sich die Menschen nur davon abhalten lassen durch die Türe zu gehen, weil ein Türhüter davor saß und Acht gab. Mit allen möglichen Tricks versuchten die Menschen an diesem Türhüter vorbeizukommen, doch damals hatte der Türhüter noch Autorität. Er war riesengroß und unheimlich. Klein und mickrig kamen sich die Menschen daneben vor. Deshalb konnte Kafka vor gut 100 Jahren noch vom Türhüter schreiben. Fast alle hielten sich daran, respektierten den Türhüter und die ihm eigene Autorität. Manche jedoch suchten sich zu widersetzen und stürmten auf die Türe los, hieben mit Fäusten darauf ein. Zurück blieben blutige Spuren, doch der Türhüter war zu groß und mächtig. Niemandem gelang es Zutritt zu bekommen. Eines Tages kam wieder ein Mann, setzte sich still nieder und wartete darauf Einlass zu erlangen, saß und wartete bis zum letzten Augenblick. Er starb dort vor der Türe. Niemand kam mehr. Die Menschen gingen vorbei an dieser Türe, zuckten noch kurz mit den Achseln und gingen weiter. "Warum sollten wir denn durch diese Türe gehen wollen? Damals, ja damals schien es die einzige Möglichkeit zu sein, doch heute, heute haben wir alle Möglichkeiten. Alle Wege stehen uns offen. Wir brauchen diese Türe nicht. Bald schon beachteten die Menschen die Türe nicht einmal mehr. Ja, sie schienen sie nicht einmal mehr zu sehen. Umso weniger Beachtung sie der Türe schenkten, desto mehr schrumpfte die Autorität des Türhüters und der Türhüter. schrumpfte und schrumpfte, bis nichts mehr von ihm übrig blieb als eine kleine, verwaiste Uniform. Dann wäre der Weg frei gewesen. Manche kamen vorbei, immer wieder, doch sie meinten: "Schade, der Weg ist uns versperrt, denn da ist eine Türe, die ist geschlossen. Wir nehmen den anderen Weg, der uns offen steht und den wir überblicken können." Die Türe blieb, auch ohne Türhüter, doch der Zahn der Zeit nagte an ihr, ließ sie morsch werden und verwittern. Die Farbe blätterte ab und das Holz wurde rau und spröde. "So ein Jammer, die schöne Türe", sagten die nächsten, die vorbeikamen, "Da hat wohl lange niemand mehr benutzt. Da kann nichts Interessantes dahinter sein." Die Türe blieb. Die Tiere suchten Schutz vor dem Wind und Vögel ließen sich darauf nieder. Eines Tages spielten ein paar Kinder in der Nähe. Es war ein kleines Mädchen, das die Türe zuerst entdeckte. Es wusste nichts von dem Türhüter, nichts von Autorität oder Bequemlichkeit, nur von der vom Leben befeuerte Neugierde. Ohne viel Aufhebens ging die Kleine, ihr Name war Nele, auf die Türe zu und öffnete sie. Ganz leicht ging es. Vielleicht quietschte sie ein wenig, doch was sie dahinter zu sehen bekam war das Wunderbarste, was sie sich vorstellen konnte. Nele ging durch diese Türe, auf die andere Seite, die noch nie jemand gesehen hatte und nie mehr jemand sehen wird, denn die Menschen blieben wie sie waren.
0211 Tür ohne Türhüter
Es gibt eine Türe, aber es gibt keinen Türhüter. Früher haben sich die Menschen nur davon abhalten lassen durch die Türe zu gehen, weil ein Türhüter davor saß und Acht gab. Mit allen möglichen Tricks versuchten die Menschen an diesem Türhüter vorbeizukommen, doch damals hatte der Türhüter noch Autorität. Er war riesengroß und unheimlich. Klein und mickrig kamen sich die Menschen daneben vor. Deshalb konnte Kafka vor gut 100 Jahren noch vom Türhüter schreiben. Fast alle hielten sich daran, respektierten den Türhüter und die ihm eigene Autorität. Manche jedoch suchten sich zu widersetzen und stürmten auf die Türe los, hieben mit Fäusten darauf ein. Zurück blieben blutige Spuren, doch der Türhüter war zu groß und mächtig. Niemandem gelang es Zutritt zu bekommen. Eines Tages kam wieder ein Mann, setzte sich still nieder und wartete darauf Einlass zu erlangen, saß und wartete bis zum letzten Augenblick. Er starb dort vor der Türe. Niemand kam mehr. Die Menschen gingen vorbei an dieser Türe, zuckten noch kurz mit den Achseln und gingen weiter. "Warum sollten wir denn durch diese Türe gehen wollen? Damals, ja damals schien es die einzige Möglichkeit zu sein, doch heute, heute haben wir alle Möglichkeiten. Alle Wege stehen uns offen. Wir brauchen diese Türe nicht. Bald schon beachteten die Menschen die Türe nicht einmal mehr. Ja, sie schienen sie nicht einmal mehr zu sehen. Umso weniger Beachtung sie der Türe schenkten, desto mehr schrumpfte die Autorität des Türhüters und der Türhüter. schrumpfte und schrumpfte, bis nichts mehr von ihm übrig blieb als eine kleine, verwaiste Uniform. Dann wäre der Weg frei gewesen. Manche kamen vorbei, immer wieder, doch sie meinten: "Schade, der Weg ist uns versperrt, denn da ist eine Türe, die ist geschlossen. Wir nehmen den anderen Weg, der uns offen steht und den wir überblicken können." Die Türe blieb, auch ohne Türhüter, doch der Zahn der Zeit nagte an ihr, ließ sie morsch werden und verwittern. Die Farbe blätterte ab und das Holz wurde rau und spröde. "So ein Jammer, die schöne Türe", sagten die nächsten, die vorbeikamen, "Da hat wohl lange niemand mehr benutzt. Da kann nichts Interessantes dahinter sein." Die Türe blieb. Die Tiere suchten Schutz vor dem Wind und Vögel ließen sich darauf nieder. Eines Tages spielten ein paar Kinder in der Nähe. Es war ein kleines Mädchen, das die Türe zuerst entdeckte. Es wusste nichts von dem Türhüter, nichts von Autorität oder Bequemlichkeit, nur von der vom Leben befeuerte Neugierde. Ohne viel Aufhebens ging die Kleine, ihr Name war Nele, auf die Türe zu und öffnete sie. Ganz leicht ging es. Vielleicht quietschte sie ein wenig, doch was sie dahinter zu sehen bekam war das Wunderbarste, was sie sich vorstellen konnte. Nele ging durch diese Türe, auf die andere Seite, die noch nie jemand gesehen hatte und nie mehr jemand sehen wird, denn die Menschen blieben wie sie waren.
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