2304 Der Moment der Ewigkeit


Der Moment der Ewigkeit

Die Nacht erwacht, und ich in sie. Ich lasse mich von ihr erfassen, umhüllen von ihrer Zärtlichkeit, umschmeicheln von ihrer Wärme. Die Nacht erwacht, entfaltet sich, um wieder zu entschlafen. Sie ist dem Werden und Vergehen ebenso unterworfen wie ich und alles andere vom Sein ins Seiende gesetzte. Der ewige Kreislauf von Werden und Vergehen, von Willkommen-heißen und Abschied-nehmen, von Geburt und Tod. Der ewige Kreislauf des Atemholens und des Atemgebens. Alles, vom Marginalsten bis zum Größten ist dem Fortgang der Zeit unterworfen, ist in der Zeit entstanden und ist in der Zeit vergangen, ist seiend in der Zeit. Ich bin in der Zeit, seiend in der Zeit, die mich begleitet, wohlvertraut, von Anfang bis zum Ende, wohlvertraut und doch so unbekannt. Wohlvertraut, weil ich ihren Rhythmus mit aller Selbstverständlichkeit hinnehmen und mich ihm fraglos unterwerfe. Unbekannt, weil ich der Selbstverständlichkeit mißtraue und mich über das seiend hinaus fragend auf das Sein richte. Die Zeit, als eingefangen  und gezähmt in fassbare Einheiten, Sekunden, Minuten und Stunden, die mich unberührt lassen, da sie konventionalisiert, mit meiner Zeit nichts zu tun haben. Seiend bewege ich mich in der Zeit, kräfte- und gedankensparend, da sie geschieht und ich mich nicht berühren lasse.

Doch neben dieser Zeit, die alles reglementiert, gibt es noch die eine, meine Zeit. Zeit des Wartens, die zäh und stur nicht von der Stelle gehen will. Zeit der Erfüllung, die galoppiert wie ein junges, ungestümes, kraftstrotzendes Fohlen. Und noch immer ist es Zeit des seienden, wohl nicht mehr dem allgemeinen Rhythmus unterworfen, aber immer noch außerhalb bleibend.

Ich sitze auf meinem Steg, höre das Plätschern des Wassers und das Rascheln der Blätter im Wind. Ich sitze auf meinem Steg, sehe den vollen, klaren Mond und die Sterne im Wasser gespiegelt. Ich lasse los, das Sehen und das Hören, lasse los, das Erfahren und Erkennen, lasse los, das Benennen und Benutzen, lasse los und mich fallen. Ich löse die Sicherheit der Fesselung um mich zu öffnen, entrolle mich wie ein Pergament, ganz und gar und restlos, um nichts mehr zurückzubehalten, was ich sorgsamst verwahrte, um nichts mehr zu verbergen, was ich peinlichst hütete, um nichts mehr zu behalten, was Ich war, um mich in der Hingabe und völliger Selbstvergessenheit als eine Angesprochene wiederzufinden, als Du, in der Überantwortung an den Moment, der weder Werden noch Vergehen kennt, der Moment, der außerhalb der geregelten Zeit steht, der Moment der Ewigkeit und Geworfenheit ins Sein. Du im Je-Jetzt, nicht gesprochen, nicht einmal gehaucht, nicht gedacht, nicht einmal geträumt, Du im Je-Jetzt bloß gelegt, geatmet, Je-Jetzt, als das Unbegreiflichste und doch dem Ursprung am Nächsten. Du seiend, einen kurzen Blick zu erhaschen auf das Sein an sich. Darbringung, Opferung, Schlachtung – Je-Jetzt. Entfaltung, Ganzwerdung, Vervollständigung als Geschenk der Überfülle im Je-Jetzt, dem Moment der Ewigkeit mitten im Leben, außerhalb des Seienden, mitten in der Unfaßbarkeit des Seins-Moment der Ewigkeit, Je-Jetzt.

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