So wie Du bist
Ich lag am Steg und sah in die Sterne und tat so als ob, in
dieser Nacht. Manchmal mache ich das, so tun als ob, weil ich gerade nicht
weiß, was ich sonst tun sollte was hilfreich wäre. In diesem Fall tat ich so
als ob ich mich in dem Anblick der Sterne verlieren würde, doch im Grunde war
ich unruhig, auch wenn ich vielleicht entspannt wirkte. So tun als ob. Manchmal
ist es brauchbar, auch um Dir die Zeit zu geben bis Du die richtigen Worte
fändest. Ich wartete auf Dich, und das jenseits allen Als Obs. Du warst zwar
da. Unruhig liefst Du am Steg auf und ab. Dazwischen setztest Du Dich für einen
Moment nieder, um dann wieder aufzuspringen. Ich wollte nicht fragen, da ich
wußte, noch war es Dir selbst nicht bewusst was los war. Dann war der Moment
und zwar der rechte. Du setztest Dich neben mich in meinem Als Ob und holtest
nochmals tief Luft, als läge in der Luft die Wahrheit und die Möglichkeit des
rechten Ausdrucks, was durchaus möglich ist.
„Ist Dir etwas aufgefallen?“, fragtest Du endlich, und ich
löste mich aus dem Als Ob und sah Dich an.
„Woran was aufgefallen?“, entgegnete ich unschlüssig, weil
ich nicht wusste was Du meintest, wen Du meintest.
„An mir. Ist Dir an mir denn nichts aufgefallen?“, fragtest
Du endlich, und die Frage näherte sich endlich einer Bestimmtheit, und
letztlich war es doch eine Fangfrage. Das könnte alles und nichts bedeuten.
„Du bist unruhig und nervös“, entgegnete ich, und fand, es
wäre angebracht das zu sagen, weil Unruhe und Nervosität immer so schrecklich
ansteckend wirken und damit anstrengend sind.
„Ja, das bin ich!“, entfuhr es Dir endlich, „Aber weil ich
das Gefühl habe, dass Du mich gar nicht mehr ansiehst, dass Du mich nicht
wahrnimmst, sonst hättest Du schon längst etwas sagen müssen, mich aufmerksam
machen, mich in die Schranken weisen, was auch immer.“
„Natürlich sehe ich Dich an und ich fühle mich wohl, wenn Du
da bist. Du bist so wie immer“, entgegnete ich wahrheitsgemäß, nicht bloß
sinngemäß, „Deine Unruhe und Nervosität, ja, das ist nicht angenehm, aber dass
Du da bist, das lässt auch das Ertragen.“
„Hast Du es denn wirklich nicht bemerkt?“, fragtest Du
weiter, „Ich habe mich heute morgen angesehen, im Spiegel. Und ich merkte, in
meinem Gesicht, dass ich alt werde. Irgendwie vergehen die Jahre und graben
sich tief ein in mein Gesicht, und ich bin dick geworden, und all das willst Du
nicht bemerkt haben? Das kann doch nur bedeuten, dass Du mich nicht ansiehst,
dass ich für Dich nicht vorhanden bin.“ Und da war er, der Vorwurf, und er wog
schwer in meiner Hand, so dass ich ihn loswerden wollte. Er lag in meiner Hand,
so dass ich sie Dir nicht reichen konnte, und das wollte ich doch, Dir die Hand
reichen und Dich zu mir zurückholen aus der Ferne.
„Doch ich sehe Dich an, und ich sehe, dass Du Dich
veränderst, äußerlich und innerlich, dass Du gefestigt wirst in dem was Du
bist, und dass die Jahre nicht unbemerkt an Dir vorübergehen, so wie an uns
allen“, erklärte ich sachte, „Aber vor allem sehe ich Dich, das was uns
verbindet, das was ich als Du zugesprochen bekam und was ich schätzen lernte.
Du, das ist das, jenseits aller äußerlichen Veränderung. Es tut nichts zur
Sache. Tut meiner Liebe und meiner Achtung keinen Abbruch, denn es ändert
nichts an dem, was Du bist, was Du mir bist. Und genau so nehme ich Dich wahr,
Kontinuität innerhalb vernachlässigbarer Veränderungen. Die Art wie Du Dich mir
zuwendest, wie Du mich anlächelst und mir Mut machst zu leben, die Art mir zu zeigen,
dass Begegnung immer neu sein kann, die Art wie Du mir bist, das ist es was ich
sehe und was mir wichtig ist. Ich sehe Dich, so wie Du bist. Ich liebe Dich, so
wie Du bist.“
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