Und ich sage Trotzdem
„So vieles liegt bei uns
im Argen“, sage ich zu Dir. Zunächst lässt Du es einfach stehen, im Raum,
antwortest nicht, reagierst nicht, bis ich den Satz wiederhole, bis ich ihn
nochmals wiederhole. Dann endlich, dann weißt Du, es macht keinen Sinn mich
länger zu ignorieren, denn ich lasse nicht locker, nicht bis Du mir zuhörst.
Andere, ja andere, die sagen etwas zwei Mal, aber wenn sie dann ignoriert
werden, dann drehen sie sich um und gehen, gehen, sich ein anderes Opfer zu
suche, doch bei mir funktioniert das nicht. Ich gehe nicht, ich gebe nicht auf,
ich bleibe, nachhaltig und beharrlich. Du weißt es mittlerweile, und dennoch
versuchst Du zumindest noch müde zu wirken, mir in Deinem Blick verstehen zu
geben, dass Du Dich jetzt vor dem Fernseher ausruhen möchtest und von den
verdammten Problemen der Welt nichts hören möchtest. Schließlich hast Du genug
eigene Probleme, doch ich lasse es nicht gelten. Irgendwann wird es auch Dich
betreffen, aber nein, es betrifft Dich ja auch immer wieder, doch wenn es dazu
kommt, dann jammerst Du ein wenig darüber, und damit ist es wieder erledigt.
Zumindest für Dich. Für mich gilt das nicht.
„Es gibt so vieles, was
unbedingt reformiert werden muss“, fahre ich fort, während Dein Blick nun auf
mir ruht, und während Du versuchst Deinen Unmut daraus zu verscheuchen, lässt
Du Dir meine Worte durch den Kopf rinnen. Es bleibt nichts hängen. Vielleicht
habe ich es auch einfach schon zu oft gesagt. Vielleicht hast Du mir schon
allzu oft die selbe Antwort gegeben. Du bereitest Dich vor. Du musst nicht
überlegen. Es macht keinen Sinn. Das sagst Du.
„Du kannst es ja doch nicht
ändern“, bemerkst Du schließlich achselzuckend, „Also warum Gedanken machen. Es
hat keinen Sinn.“ Bis jetzt war das Gespräch spätestens an diesem Punkt zu
Ende, doch ich habe beschlossen, es nicht zu Ende kommen zu lassen. Heute wirst Du nicht einfach so davonkommen.
„Ich kann es nicht
ändern“, gebe ich trotzdem zu, und lasse eine Pause, eine theatralische.
Vorsichtig wandert Dein Blick wieder Richtung Fernseher, und dann kommt mein
nächster Satz, gerade als Du wieder den Bildschirm im Blick hast, „Du kannst es
nicht ändern“, sage ich nur, und wieder blickst Du mich an, den Satz nicht
zuordnen könnend, „Aber Du und ich, und all die anderen Dus, die auch sagen,
sie könnten nichts ändern, aber ein anderes Du haben, das sagt, es liegt so
Vieles im Argen, die können miteinander was ändern. Natürlich, die die lieber
jammern und mit ihrem Jammer vor dem Fernseher sitzen bleiben, weil sie
letztendlich nichts interessiert als ihre eigene Bequemlichkeit, die sollen
sitzen bleiben und ab und an rülpsen, nichts interessiert, weder ihre eigene
Zukunft noch die ihrer Kinder, noch die von sonst irgendjemanden, denn jetzt
ist es ja warum und gemütlich – und alles andere blenden wir aus. Aber ich sage
Trotzdem, Trotzdem es nicht leicht ist, Trotzdem es Engagement verlangt,
Trotzdem es nicht von heute auf morgen geht, will ich es nicht einfach taten-
und wortlos hinnehmen, und ich will mich an die wenden, die der Teil der Dus
sind, die meiner Meinung sind, und miteinander werden wir dafür Sorge tragen,
dass bald nicht mehr so viel im Argen liegt, dass Reformen nicht nur versprochen,
sondern auch durchgeführt werden, dass sich etwas ändert.“
„Was willst Du schon
ausrichten? Meinst Du, dass irgendwer auf Dich hört?“, fragst Du irritiert.
„Vielleicht nicht.
Vielleicht schon. Aber eines ist sicher, wenn ich nichts sage, dann wird mich
ganz bestimmt niemand hören. Nur wenn ich was sage, dann besteht auch die
Möglichkeit gehört zu werden. Deshalb werde ich etwas sagen, aber Du kannst
ruhig sitzenbleiben“, entgegne ich, während ich aufstehe und mich anziehe.
„Du gehst? Aber warum? Es
geht Dir doch gut bei mir?“, fragst Du, weil Du nicht verstehst.
„Trotzdem, es ist zu
wenig, dass es mir gut geht, für mich zu wenig und für mein Leben“, antworte
ich und lasse Dich.
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