Der schwarze Stuhl
Es geschah zu einer Zeit, als die Blüten bereits abgefallen,
die Früchte aber noch nicht reif waren, auf den Bäumen und auf den Feldern. Zu
einer Zeit zwischen Empfangen und Gebären. Zu einer Zeit, da der Gedanke in mir
reifte, ich mit ihm schwanger ging, aber er noch nicht fertig gefügt war. Es
geschah in einer Zwischenzeit.
Das Gras stand hoch, jungfräulich unberührt. Die Sense war
ihm unbekannt. Auf meiner Wiese würde es auch jungfräulich bleiben. Als
Geschenk dafür, dass ich es unangetastet ließ, entwuchs dem Gras, mitten auf
meiner Wiese, ein schwarzer Stuhl. Ich nahm es an, dieses Geschenk, denn ich
war hochschwanger und bedurfte der Ruhe, meinen Gedanken fertig zu fügen. Ich
setzte mich auf diesen Stuhl, den mir meine Wiese zum Geschenk gemacht hatte,
setzte mich, meinen Gedanken fertig zu fügen.
„Ich sitzt auf dem Stuhl auf meine Wiese.“, war ich.
„Du sitzt auf einem Stuhl, mitten auf der Wiese, und tust
mal wieder nichts.“, warst Du.
„Ich füge meinen Gedanken, dass er bereit ist geboren zu
werden.“, war ich.
„Sage ich doch, Du tust nichts. Nie tust Du irgendetwas,
während ich mich hier schinde und abrackere. Und wofür das alles? Tag und Nacht
nichts als Sorgen und Probleme, und Du tust nichts.“, warst Du.
„Ich füge meinen Gedanken um ihn zu gebären, und das bedarf
der Ruhe und der Beschaulichkeit.“, war ich.
„Oh, Du bedarfst der Ruhe. Soll ich vielleicht leiser
arbeiten, damit Du Deine Ruhe hast.“, warst Du.
„Es würde vollends genügen, wenn Du das Reden lassen
würdest. Ich wäre Dir sehr verbunden.“, war ich.
„Das wird ja immer schöner. Nichts nutze sein auf der Welt,
aber auch noch Ansprüche stellen. Nur dasitzen, auf einem Stuhl mitten auf der
Wiese. Überhaupt, wer kommt auf so eine schwachsinnige Idee einen Stuhl auf
eine Wiese.“, warst Du.
„Schwachsinnig bist, mit Verlaub, nur Du. Deshalb arbeitest
Du und ich füge meine Gedanken, hier auf dem Stuhl, den nicht ich
hierhergestellt habe, sondern den mir meine Wiese geschenkt hat.“, war ich.
„Jetzt wird es mir aber zu bunt. Die Wiese hat ihn Dir
geschenkt? Ich werfe ihn um. Siehst Du, nichts als ein ganz normaler Stuhl.“,
warst Du.
„Du hast meinen Stuhl entwurzelt und getötet. Du hast mich
vom Stuhl geworfen in die Wiese, und den beinahe fertig gefügten Gedanken
abgetrieben.“, war ich.
„Ich bin zufrieden. Nun kannst Du mit mir arbeiten, mir
helfen und mich unterstützen.“, warst Du.
Ich nahm das Leichentuch, es über den schwarzen Stuhl zu
breiten, den mir meine Wiese geschenkt und den Du getötet hattest. Ich nahm das
Leichentuch, es über meinen fast fertig gefügten Gedanken zu breiten, den Du
abgetrieben hattest. Entjungfert und geschändet ließ ich die Wiese hinter mir
als ich ging, weg von all dem Sterben, gestorben sein und Dir. Ich ging, mir
eine neue, jungfräuliche, unberührte Wiese zu suchen, die mir einen neuen Stuhl
schenken würde, meinen neu zu fügenden Gedanken zu gebären.
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