Erzählen
Es ist mittlerweile über 25 Jahre her, dass ich die Kraft
des Erzählens für mich entdeckte, damals unter einer Laterne auf einer Wiese in
Hastings. Zuerst waren nur eine Freundin und ich da. Wir warteten auf den Bus,
der uns abholen sollte. Wir waren zu früh dran. Viel zu früh. Doch auch andere
stießen zu uns, und ich wurde gebeten eine meiner Geschichten zu erzählen, und
ich tat es, und aus einer wurden mehrere. Ich erzählte. Nichts weiter, stieg
ein in das erzählte Geschehen und nahm die anderen mit, so sie wollten. Was
rund um uns noch geschah? Ich kann es nicht sagen. Ich genoss den Moment und
das Miteinander und den Austausch, bewährte mich als aufmerksame Führerin.
Zuletzt sprachen wir darüber. Dann stiegen wir in den Bus ein und fuhren weg,
weg von dem Ort und aus dem Geschehen. Danach habe ich lange nicht mehr
erzählt, nur das Erleben begleitete mich, überrollte mich ab und an in einer
sanften Welle und trug mich fort zu der Laterne in Hastings vor über 25 Jahren.
Die Zeit verging, die Verpflichtungen und
Verantwortlichkeiten wurden mehr, wollten erfüllt werden, und auch wenn ich von
diesem Damals, nicht nur räumlich, weit weg schien, so war es doch immer
irgendwo präsent. In einer kleinen Schublade im großen Kasten meiner
Erinnerungen. Und jetzt habe ich sie wieder einmal aufgemacht. Nicht nur für
einen kurzen Blick hinein, sondern um sie wirklich herauszunehmen, fühlte mich
ein, wie es war, gelehnt an die Laterne, erzählend, beobachtend, und plötzlich
wusste ich, dass es das war, was ich immer wollte. Nicht nur schreiben,
fixieren und weitergehen, sondern erzählen und näherbringen. Zuerst hatte ich
gedacht, es wäre die Nacht, die diese seltsame, magische Stimmung zauberte, so
dass ich meine Geschichten zunächst immer in der Nacht ansiedelte, sie erzählen
ließ von meinem Alter Ego, Nyx Nachtgedanken. Aber das war es nicht.
Es war das verbindende Band des Erzählens, das Brücken
schlägt zu weit entfernten Epochen und Brücken in die Ferne, das uns aufmerken
lässt auf das Hier und Jetzt, das uns aber auch ein wenig dem Alltag
vorenthält. Erzählen – zum Lachen zu bringen, zum Weinen, zum Nachdenken, zum
Verstehen. Und wenn man zurückkehrt in diesen Alltag, so tut man es gestärkt
und zuversichtlich. Vieles lässt sich mit Geschichten viel besser erklären, als
durch bloße Beschreibung, denn wir können das Gelingen der Protagonisten
nachvollziehen, ebenso wie ihr Scheitern. Und wenn es gut ist, dann verleitet
es dazu ein wenig innezuhalten, ohne die Realität gänzlich zu negieren.
Ich will nichts weiter als meine Geschichten zu erzählen,
und wenn ich meine sage, so sind es all die, die ich in mir gesammelt habe, aus
eigener Anschauung, aus Gelesenem, aus Gesehenem, aus dem, was mir erzählt
wurde, und bisweilen aus meinen Träumen und Phantastereien, denn dem der
erzählt, dem stehen die Welten des innen und des Außen offen. Nichts, was nicht
zugänglich wäre, nichts, was sich verschließen würde, und doch nichts weiter
als eine Geschichte. Geschichten drängen und zwingen nicht. Vielleicht
verführen sie oder verzaubern. Vielleicht schenken sie uns Worte, nach denen
wir schon lange gesucht haben, aber letztlich entscheidet der Hörende ob er
sich auf die Geschichte einlässt oder nicht.
Ich bin die Erzählerin, und als solche biete ich Geschichten
an. Nichts weiter. Und ich freue mich, wenn ihr euch einlasst.
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