Franziska
Sorgfältig verschloss Franziska die Ladentüre. „Pinsel aller
Art“ stand außen über der Türe, die zu dem kleinen Geschäftslokals führte. Die
Schrift war verblichen und lange war es her, seit der letzte Kunde das Geschäft
betreten hatte. Franz Xaver Fent war es wohl auch sehr recht gewesen, als er
diese Pforte für immer schließen konnte, denn so hatte er die Möglichkeit sich
voll und ganz seiner Profession, dem Pinselmachen, zu widmen. Natürlich hatte
er eingesehen, dass es notwendig war die Erzeugnisse seiner Hände auch zu
verkaufen, auch wenn es nur aus dem profanen Grund geschah seinen
Lebensunterhalt, der zwar als überaus bescheiden zu bezeichnen war, dennoch
unleugbar vorhanden war, zu verdienen. Nicht, dass er sich selber je mit Kunden
abgegeben hätte, doch allein das ständige Öffnen und Schließen der Türe, die
langwierigen und ermüdenden Verkaufsgespräche, rissen ihm permanent aus seiner
Konzentration. Seine Werkstatt lag zwar nicht unmittelbar neben dem
Verkaufsraum, aber doch noch immer nahe genug um all dies mitanhören zu müssen.
Und es herrschte reger Betrieb in diesem Geschäftslokal, dereinst. Schließlich
war er ein anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet, ja man raunte sich zu, dass
man nirgendwo perfektere Pinsel hätte finden können. Nicht nur Künstler, die
höchstes Interesse daran hatten, ihre Arbeit durch die Wahl des richtigen
Werkzeuges zu vervollkommnen, auch Damen der Gesellschaft, und wohl auch die,
die sich dafür hielten, deren gemeinsames Interesse darin bestand, ihre Haut
wie ihre Haare mit ebenso qualitativ hochwertigen Pinseln und Bürsten zu
bearbeiten, wie die Künstler ihre Leinwände, gaben sich die Klinke in die Hand.
Doch nun war der Laden seit langem geschlossen, der gute Pinselmacher in
Pension, so dass es ihm endlich möglich war seinen penibel durchstrukturierten
Tagesablauf einzuhalten. Jede Tätigkeit hatte seine Zeit, und er kannte nicht
die kleinste Abweichung. Und so penibel die Ordnung in seinem Leben war, so
hielt er es auch in seiner Werkstatt. Jedes fertige Werkstück wurde sorgsam
verwahrt und aufgezeichnet.
Franziska, seine Nichte, die seit Jahren für ihn sorgte, ihm
den kleinen Haushalt besorgte und das Essen bereitete, fügte sich nahtlos in
diese strenge Ordnung. Früher hatte diese Ägiden ihre Mutter, die Schwester des
Pinselmachers, in Ermangelung einer Ehefrau oder eigener Kinder, über, doch
auch an ihr gingen die Jahre nicht spurlos vorüber, und als ihr die Last der Verantwortung
zu schwer zu werden drohte, erbot sich Franziska eben jene zu übernehmen, nicht
ohne sich mit einer gewissen Sorge von Seiten ihres Onkels konfrontiert zu
sehen, die darin bestand, dass dieses junge Mädchen Lärm und Unordnung in sein,
Franz Xaver Fents Leben bringen würde. Diese Sorge erwies sich vom ersten Tage
an als entbehrlich, denn Franziska erschien jeden Tag zur selben Zeit und
führte jede Tätigkeit zur exakt selben Zeit aus. So gingen die Jahre in
völliger Harmonie und im völligen Gleichklang dahin. Franziska betrat wie
gewohnt die Räumlichkeiten ihres Onkels durch die Ladentür, an dem immer noch
das Wendeschild hing, auf dessen einer Seite das Wort „Geschlossen“ und auf
dessen anderer Seite das Wort „Geöffnet“ zu lesen war. Zufällig fiel Franziskas
Blick beim Schließen der Türe auf dieses Schild. „Geschlossen“ las sie auf
ihrer Seite der Türe, wonach die Seite mit der Aufschrift „Geöffnet“ nach außen
zeigen musste. „Dieses Schild hätte schon längst fixiert werden müssen, denn
schließlich wird der Laden nie mehr geöffnet.“, dachte sie noch, während sie es
auf die richtige Seite drehte, doch dafür hatte sie keine Zeit, hatte sie das
Aufmerken und das Umwenden des Schildes schon genug Zeit gekostet. Das hatte
sie nun aufzuholen. Sie betrat die Werkstatt des Onkels, exakt fünf Minuten
nach elf. Franz Xaver Fent hatte sich nach getaner Arbeit bereits in seinen
Lehnsessel gesetzt um ein wenig auszuruhen und sein Mittagessen zu erwarten.
„Guten Tag, lieber Onkel. Wie geht es Dir heute?“, begrüßte Franziska ihren
Onkel. „Guten Tag, liebe Nichte. Alles in Ordnung, wie immer.“, antwortete ihr
Onkel gleichmütig, und selbst dieser eine kleine Wortwechsel schien
ritualisiert. Franziska zog sich daraufhin pflichtbewusst in die Küche zurück,
so wie Martha, die ganz darin aufging für Jesus zu sorgen, für sein leibliches
Wohl. Hätte Franziska auch nur ein klein wenig Anteil an Maria, Marthas
Schwester, gehabt, die sich zu Jesu Füßen setzte und seinen Erzählungen
lauschte, so hätte sie die Veränderung im Blick ihres Onkels wahrgenommen,
hätte alles stehen und liegen gelassen und folgende Geschichte hören können.
Doch Franziska war nicht Maria.
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