Unverhofft
Seit Stunden saß ich nun da und meine Gedanken drehten sich
im Kreis. Unbedingt musste ich fertig werden. Der Termin hing wie ein
Damoklesschwert über meinem Nacken. Woher kommt überhaupt der Ausdruck
„Damoklesschwert“?, ging es mir unvermittelt durch den Kopf, und sofort ging
ich daran es nachzuschlagen. Da hatte ich zumindest den Eindruck etwas zu tun.
Doch wem machte ich etwas vor? Mir selbst. Immer nur mir selbst. Tat so, als
wäre das jetzt wichtig. Doch das war es nicht. Wichtig war die Arbeit, die
fertig gemacht werden wollte, und ich kam keinen Schritt vorwärts. Wie ein
Hund, der seinen Schwanz jagt, kam ich mir vor, und selbiger setzte sich nun
auch noch vor mir hin und winselte. Verstohlen sah ich auf die Uhr. Er wollte
raus, sich bewegen. Natürlich, es war höchste Zeit. „Ja, wir gehen gleich“,
sagte ich ihm beschwichtigend, aber halbherzig, „Ich mach das da nur noch
schnell fertig, dann gehen wir auch. Das musst Du doch verstehen!“ Musst?
Natürlich verstand er es nicht, von müssen gar keine Rede. Und selbst wenn er
meine Worte verstanden hätte, es wäre ziemlich egal gewesen, denn es war seine
Zeit, so wie immer, da wollte er raus und das war seine Art es mir zu sagen.
Unbeeindruckt winselte er weiter. Meine Konzentration war nun restlos dahin. Es
war eine billige Ausrede, sehr billig, denn auch bevor er zu winseln begonnen
hatte, funktionierte nichts. Aber es hat doch immer etwas Entlastendes, wenn
man die Schuld auf jemand anderen schieben kann, und den Hund, den störte das
nicht. Er ließ nicht nach, bis ich aufstand, verärgert das Halsband nahm und
die Leine und mich auf den Weg machte. „Und, bist Du jetzt zufrieden?“, blaffte
ich ihn missmutig an, „Jetzt, da Du Deinen Willen bekommen hast?“ Und ja, er
war höchst zufrieden. Voller Vorfreude sprang er aus dem Haus, und auf die Straße.
Zielstrebig schlug er den Weg in Richtung Wald ein. „Aber wir gehen nur ein
bisschen“, hörte ich mich noch sagen, doch es war mehr als schwach. Asphalt
unter meinen Füßen, Hundegekläff aus den anderen Gärten. Der Hund, den ich an
der Leine führte, hatte es sehr eilig zu schnüffeln. Vom ersten Moment an war
er ganz bei der Sache, nur in mir haderten noch zwei Seelen. Die eine, die mir
vorwarf so undiszipliniert zu sein, und die andere, die sich vehement
vorzudrängen versuchte um den Spaziergang zu erleben. Noch behielt erstere die
Überhand, doch sobald wir den Wald betraten, die Geräusche nachließen, die
Sonnenstrahlen sich durch die Blätter der Bäume schlängelten, legte ich
jegliche Disziplin ab und war da. Atmete die Luft, roch die Erde und spürte den
weichen Waldboden unter meinen Füßen. Ich ließ los. Das was ich zu Hause
gelassen hatte und jetzt wirklich auch dort war, nicht mehr bei mir. Ich ließ
los. Die Gedanken, die mich fesselten an das Problem, das ich umrundet hatte
wie ein wilder Tiger. Jetzt hatte ich mich entfernt. Es würde noch da sein,
wenn ich nach Hause käme, doch dann wäre es zu spät diese eine Stunde zu
genießen, die wir hier verbrachten, die Eindrücke auf- und wahrzunehmen.
Einfach hier zu sein, nichts weiter. Meine Gedanken waren noch wenige Meter
zuvor durcheinandergewirbelt gewesen, als hätte ein Orkan in meinem Kopf
gewütet. Langsam legten sie sich. Ruhe kehrte ein. Schritt um Schritt. Ich
ging. Der Hund ging. Wir fanden in einen Rhythmus. Nebeneinander. Rhythmus.
Gehen. Stehen bleiben. Wie eine Einheit. Und plötzlich, ohne dass ich auch nur
daran gedacht hatte, erhob sich die Lösung aus all diesen Gedanken, die nun
endlich Ruhe gaben, erhob sich, klar und einfach. Mit einem Schlag wusste ich
was ich zu tun hatte, wie weitermachen, wie vollenden. Und die Antwort war
schon immer dagewesen. Ich hatte sie nur nicht sehen können, so sehr hatte ich
mich vergraben im Problem. Frohgemut schritt ich neben meinem Hund aus. Und als
wir zurückkehrten, da vollendete ich die Arbeit mit aller Leichtigkeit, während
mein Hund ruhig und zufrieden neben mir lag. Hatte er gewusst was ich brauchte?
Es ist verführerisch das zu denken, aber es tut letztlich auch nichts zur
Sache, denn was zählt ist, dass es so geschehen ist. Manchmal, da muss man erst
fortgehen um zu sehen wovon man ausging.
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