3011 Adventgeschichte:
Das gewebte Bild - Hinführung
Maria von Martialis, eine großgewachsene, blonde
Frau, die in ihrer Haltung, ihrem Auftreten, ja in jeder ihrer Bewegungen das
Flair vergangener adeliger Abstammung vermittelte, der sich nicht abschütteln
ließ, so verkommen und unbedeutend ihrer Familie mittlerweile auch sein mochte,
war verunsichert. Es gefiel ihr nicht, diese Unsicherheit, denn sie war gewohnt
alles perfekt zu planen. An diese Gewohnheit hatte sie sich auch bisher strikt
gehalten. Das oberste Ziel war es, herauszukommen aus dem Elend, aus der Armut
und der Verkommenheit. Macht, Status, Ansehen und Reichtum, das waren irhe
vorrangigen Ziele. Nie wieder in einer beengten, verdreckten Wohnung leben mit
Menschen, die der Vergangenheit anhingen wie die Klette am Schwanz eines
Hundes. Dieses ewige Selbstmitleid einer Armut, die wohl selbstverschuldet war
und dennoch völlig den Anderen angelastet wurde. Sie sah ihre Mutter vor sich,
fett und aufgedunsen, wie sie inmitten des Drecks auf einem Fauteuil saß und
darauf wartete, dass ein Wunder geschehe. Schließlich war sie eine von. Von
Kindesbeinen an gewohnt dienstbare Geister um sich zu haben, die ihr jeden
Wunsch von den Augen ablasen, gedachte sie auch späterhin keinen Finger zu
rühren. Auch als alles den Bach runterging und die Familie zusehends verarmte. Vielleicht
konnte sie wirklich nicht anders, aber Maria billigte es ihr nicht zu, denn sie
war durchdrungen von dem Gedanken, dass jeder reich sein konnte, der sich nur
genug anstrengte, aber ihre Mutter war nicht bereit dazu. Mit Ekel und
Widerwillen dachte sie daran, was Maria nur noch mehr anstachelte. Mit Bravour
hatte sie ihre Schulzeit absolviert, obwohl sie immer auch daneben arbeitete.
Mit dem Geld, das sie verdiente leistete sie sich Statussymbole. Sie sah darin
eine Investition in die Zukunft. In ihre Zukunft, denn egal wie viel sie
konnte, gemessen wurde sie an ihrem Äußeren. So war es nun mal in dieser Welt.
Dann begann sie das Studium der Handelswissenschaften und bereits zum Abschluss
ihres Bachelors zeigten sich die Früchte ihrer Arbeit. Alles schien so
aufzugehen wie sie es sich erhoffte. Auf ihrem Bett lag nun die offizielle
Einladung einer der weltweit größten und einflussreichsten Investmentbanken zu
einem Praktikum, das sie bereits am ersten Januar antreten konnte. „Sie sind
meine beste Studentin“, hatte ihr Professor gesagt, als er ihr das Schreiben
überreichte, „Ich habe Sie höchstpersönlich dafür vorgeschlagen, weil sie es
sich verdient haben. Enttäuschen Sie mich nicht. Aber vor allem sich selbst.
Sie wissen, dass so eine Chance niemals wiederkommt. Das kann ihren Durchbruch
bedeuten.“ Damit hatte er zweifelsohne recht. Aber daneben lag noch ein anderer
Brief, der nicht unterschiedlicher sein konnte. War ersterer geschäftsmäßig
klar und direkt, maschinell verfasst und auf Firmenpapier gedruckt, so war
zweiterer mit der Hand geschrieben worden. Die krakelige, alte Handschrift
wollte die gerade Linie nicht finden, sondern stieg auf und ab wie Berg und
Tal, wurde mal kleiner, mal größer. Kurrentschrift war es, fand Maria sehr
schnell heraus und kaum zu entziffern. Mit viel Mühe, die sie noch niemals
gescheut hatte, gelang es ihr, zumindest den Sinn des Schreibens herauszufiltern.
Es handelte sich um eine Einladung auf den Hof ihrer Großtante, die sie seit
vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. So weit sie sich überhaupt erinnerte,
handelte es sich um eine verschrobene, alte Frau, Schwester ihrer Großmutter,
die als das schwarze Schaf der Familie galt, da sie dereinst, als sie noch ein
junges Mädchen war auf alle Rechte und Würden, ja sogar auf den Namen
verzichtete und einen armen Bauern heiratete. Am selben Tag war sie aus dem
Schloss der Familie, das sie damals noch ihr eigen nannten, aus- und in die
Bauernhütte eingezogen. Niemals wieder sollte sie einen Fuß in das Schloss
setzen. Warum sollte Maria sie besuchen? Der einzige Grund warum sie den Brief
nicht gleich weggeworfen hatte war nichts weiter als ein Gerücht, das besagte,
ihre Großtante wäre sehr reich. Als sie das reiche Elternhaus damals verließ
nahm sie ihr Erbteil mit, das sie allerdings nie angerührt hatte. Die Ehe war
glücklich aber kinderlos geblieben. „Ich tue es!“, sagte Maria in die Stille ihrer
Wohnung hinein zu sich selbst, „Ein paar Tage, die kann ich wohl investieren,
denn die Rendite kann beträchtlich sein.“ Wenige Minuten später warf Maria
ihren Koffer auf die Rückbank ihres Mercedes und brauste davon. Und es war der
30. November. Genug Zeit also die Großtante dazu zu bewegen ihr alles zu
vermachen, um dann am 01. Januar ihr Praktikum, versehen mit einem hübschen,
finanziellen Pölsterchen, aufzunehmen.
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