Die Brücke (Teil 1)
„Ich will bei Dir bleiben, Dir bleiben.“, sagtest Du, als Du
erwachtest und sich nichts geändert hatte, am Fortgang nicht und auch nicht am
Bleiben. „Dann bleib bei mir, bleib mir.“, antwortete ich, als Du mir
wiedergegeben warst, aus den Armen des Schlafs, in diesen Moment. „Ich kann
bleiben, so lange Du mir erzählst.“, sagtest Du, und so begann ich zu erzählen.
Ich war in die Dämmerung erwacht, wie immer. Nein, nur fast
so wie immer, denn wenn es immer gewesen wäre, hätte ich mich an meinen Steg
gesetzt, doch in dieser einen Dämmerung lag etwas, das mich fortführte, in ein
Hinaus verführte. Fraglos folgte ich, zunächst dem bekannten Pfad, der dann in
einen anderen mündete, einen weniger vertrauten, der wiederum zu einem anderen
führte, und immer so fort. Ich weiß nicht wie lange ich so fortgegangen war und
der Weg, den ich ging, war mir schon längst völlig unbekannt, doch aus
irgendeinem Grund wusste ich, dass es der richtige Weg war. Geradeso, als hätte
es keinen anderen Weg gegeben, den ich hätte gehen können. Immer weiter ging
ich fort, ohne die kleinste Unsicherheit, während der Mond über das Firmament
schritt, seinen altbewährten Lauf folgend. Ich erreichte eine Brücke, die das
Feld, über das ich gegangen war mit dem jenseits des Flusses liegenden Ort,
verband. Sie schien die einzige Verbindung zwischen dem Jenseits und dem
Diesseits des Flusses zu sein. Es war eine grobe, steinerne Brücke, festgefügt
wohl, aber dennoch in größter Eile entstanden. Ich war mir sicher noch nie an
diesem Ort, bei dieser Brücke gewesen zu sein, und dennoch erkannte ich sie
wieder, so wie ich meinen Steg, meine Wiese, meine Weide wiedererkennen würde,
wenn ich zurückkehrte, so sicher, als hätte ich mich ein ganzes Leben damit
befassen können mir diese Brücke vertraut werden zu lassen. Aber das konnte ich
nicht, konnte einfach nicht sein. Spielte mir meine Fantasie einen Streich, wie
schon des öfteren? Oder war das eine Erinnerung, die so verschüttet war, dass
ich sie mir selbst nicht eingestehen konnte? Ich ging ein paar Schritte die
Brücke hinauf, die Hand am steinernen Geländer . ... fünf, sechs sieben, acht,
neun, zehn – zählte ich automatisch. Genau zehn Steine, bis zu jenem Tor, das
die Brücke in der Mitte teilte und das im Notfall geschlossen werden konnte, so
dass der Ort unerreichbar war. Doch vor welcher Gefahr mussten sich die
Bewohner des Dorfes dort in der Mitte schützen? Ich ging die Brücke wieder
zurück, wagte nicht sie zu überqueren, wagte nicht den Ort zu betreten. Als ich
wieder zum Anfang der Brücke kam, sah ich dort ein Mädchen sitzen. Ganz klein
hatte sie sich gemacht, die Beine angezogen und die Arme um ihre Knie
geschlungen, so klein, als wollte sie sich unsichtbar machen, und beinahe wäre
es ihr auch gelungen, in ihrem Kleid, das so grau war wie der Stein, an den sie
sich presste. Ich schätzte, dass sie ungefähr zehn Jahre alt sein musste, nur
ihre Augen wirkten welk und müde. Warum saß sie da? Warum war sie nicht im Dorf
auf der anderen Seite der Brücke, in Sicherheit? Warum saß sie hier in der
Dunkelheit, und lag nicht in ihrem Bett? Ich kniete mich vor ihr nieder,
entschlang ihre Arme und fasste ihre Hand. Ich wollte sie in das Dorf
hineinbringen. Da erst bemerkte ich, dass das Tor verschlossen war. So nahm ich
sie mit mir mit, den Weg zurück. Als wir schon so weit gegangen waren, dass die
Brücke und das Tor gerade noch schemenhaft zu erkennen waren, drehte ich mich
nochmals um, und gewahrte eine dunkle große Gestalt, die sich der Brücke rasch
und zielsicher näherte.
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