Spiegelung
In Deinen Augen
meine Seele
sich spiegelt
Deine Seele
in meinen Augen.
Du schläfst. Nyx Tochter, der Schlaf, hatte Dich
bereitwillig in ihren Umhang gehüllt. Ich saß neben Dir, und ein leiser Schauer
lief mir über den Rücken, als ich daran dachte wie sehr dieser begrenzte Schlaf,
dem Du Dich so willfährig anvertraut hattest, wie sehr er doch seinem Zwilling,
dem unbegrenzten Schlaf ähnelte. Unwillkürlich legte ich meine Hand auf Deine
Brust, stark genug Deinen Herzschlag zu erfühlen, aber auch sanft genug Dich
nicht zu wecken. Ja, Du lebtest, und es war gut, hier zu sitzen und Deinen
Schlaf zu bewachen.
Was ist das, dieses Ich? Doch nichts weiter als eine
lebensgeschichtlich späte Konstruktion, die für sich nichts vermag, nichts
bewirkt, nichts ist. Wie war es, damals, als Du mich werden ließt? Du hast Dich
mir gegenüber gesetzt, hast mir in die Augen gesehen und mich aufgefordert:
„Erzähl mir Dich!“ Und so gerne ich auch sonst erzählte, hier war ich ratlos,
gegenüber Deiner Aufforderung an sich, aber auch ob ihres Inhaltes. Natürlich,
ich hätte viel reden können über alles mögliche und irgendetwas, doch das
wolltest Du nicht. Du wolltest, dass ich mich Dir erzähle. „Ich weiß nicht wo
ich anfangen soll?“, musste ich zugeben. „Wieso? Gibt es bei Dir einen Anfang,
etwas, wo Du beginnst, und vielleicht sogar etwas, wo Du endest?“, fragtest Du.
Und nun war ich endgültig verwirrt, völlig verstummt. Doch Deine Augen
lächelten, und ich wusste, dass Du es gut meintest. „Mach es wie mit
Seifenblasen.“, sagtest Du, „Stell Dir vor, dass da viele Seifenblasen sind,
die Du in die Luft geblasen hast. Fang Dir eine und erzähl mir was Du darin
findest, denn an Dir, da gibt es keinen Anfang und kein Ende, sondern nur
Lichtblicke, Einblicke, die Du mir schenken kannst, wenn Du willst.“ Und ich fing
sie, die Seifenblasen. Ich berührte sie, und indem sie zerplatzten, legten sie
bunte Bilder frei, Bilder meines mich-erzählens. Sie wurden, weil ich in Deinem
Blick war, meine, und als solche, einzigartig. Und umso mehr ich von ihnen
zerplatzte, umso mehr schienen es zu werden, umso mehr entdeckte, umso mehr
wurde ich, wurde ich als Du mir. Möglich, dass das auch außerhalb Deines Blicks
existierte, aber bloß unvollständig und gebrochen, so, wie ich mich als Ich
unvollständig und gebrochen fand.
Das Feuer im Kamin warf einen warmen, gnädigen Schein auf
Dein Gesicht, auf Dein im Schlaf entspanntes, friedliches Gesicht. Das Leben
zehrte an Dir, und irgendwann würde es Dich aufgezehrt haben, doch bis dahin
würde ich für Dich Seifenblasen platzen wollen, und Dir die darin verborgenen
Bilder erzählen. Ich würde Deinen Schlaf bewachen und Dein Leben bereichern.
Ich würde Dir in meinem Du-sein mich erzählen, bis alle Bilder und alle Worte
aufgebraucht sein würden.
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