2801 Ein Ort zu bleiben


Ein Ort zu bleiben


Nichts ist so schwer für mich, als zu bleiben, und doch, nichts wünsche ich mir mehr als dieses Bleiben.

Natürlich kann ich es, mich irgendwohin setzen und an der Stelle verharren – doch auch wenn ich körperlich noch so still halte, ich bleibe nicht. Rast- und ruhelos tragen mich meine Gedanken an einen anderen Ort. Was war da noch gleich, was ich tun wollte? Wo habe ich bloß den Satz gelesen, der mir gerade nicht aus dem Kopf geht? Was habe ich gestern eigentlich getan und was habe ich für morgen geplant?

Und schon bin ich weit, weit weg, von jenem Hier, aus dem Jetzt. Meine Gedanken finden keinen Punkt sich festzuhalten, keinen Grund zu verweilen – und doch ist es das, was ich mir am meisten wünschte. Spürst Du meine Sehnsucht mich selbst zu zügeln? Vernimmst Du die Hoffnung mich gänzlich im Hier und Jetzt verlieren zu können? Vermagst Du meinen Traum vom Bleiben zu teilen?

Klar und deutlich steht mir das Ziel vor Augen, doch es ist mir, als wäre zwischen mir und diesem Ziel ein tiefer, unüberbrückbarer Abgrund. Noch gibt es nichts, was mich hält, nichts, was meine Sehnsucht zu stillen vermag, nichts, was mich so ruhig werden ließe, dass ich verweilen könnte. Gibt es denn etwas, das mich heilen könnte, was sich lohnt sich darein zu geben, lohnt hinzugeben, mit Haut und Haaren, mit Fleisch und Seele? Gibt es etwas das das Sehnsucht-haben in ein fokussiertes Sehnsucht-sein wandeln könnte? Gibt es etwas, das das Träume-haben in ein gelebtes Traum-sein wandeln könnte? Gibt es etwas, das das Begehren-haben in ein hingebungsvolles Begehren-sein verwandeln könnte? Wo soll ich anfangen zu suchen? Gibt es einen Ort, an dem ich noch nicht gesucht habe? Habe ich denn wirklich schon alles probiert? Was habe ich noch übersehen? Welche Abwägigkeit habe ich noch nicht durchleuchtet? Welche Absurdität nicht zumindest gedanklich durchgespielt? Was habe ich unversucht gelassen?

Nichts ist so schwer für mich als zu bleiben, und doch, nichts wünschte ich mir mehr als dieses Bleiben.

Ich komme zu meinem Steg, an dem Du mich bereits erwartest, und so wie Du mich mit Deinen Armen umfängst, so umfängst Du jeden einzelnen meiner unruhig umherschweifenden Gedanken und holst sie heim. So wie Du mir Aufnahme bist, so nimmst Du meine ungestillte Sehnsucht auf. Ich spüre, dass ich nichts mehr muss, keinen einzigen Schritt weiter muss. Gerade noch waren die Teile meines zersplitterten Selbst in alle Winde verstreut, und in einer Bewegung, nimmst Du sie auf und setzt mich zur Ganzheit zusammen. Ich bin hier, bei Dir, bin Dir, bin Dir Du – angekommen, Rast und Ruhe, Labsal und Erquickung findend. In allem was ich bin, bin ich Dir, mich gänzlich entgrenzend, schenkend, hingebend, verschwendend – bis zur namenlosen Grenze, sie niederzureißen. Nichts, das ich zurückbehalten könnte oder wollte, nichts, womit ich mich nicht in Dir versenkte. Dass Atem zu Atem kommt, Herzschlag zu Herzschlag, Verinnerlichung zu Verinnerlichung, Du zu Du – an dem Ort, an dem ich zu bleiben vermag.

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