Erwachen
Der Waggon war in den Abgrund gestürzt, war aufgeschlagen
und zersplittert, zerborsten. Ich hatte zwar die Augen geschlossen, mich in das
scheins Unausweichliche fallen lassen, in der stummen Erwartung, dass mir das
gleiche widerfahren würde, doch als der Knall verklungen war und wieder Ruhe
einkehrte, fühlte ich mich immer noch ganz und heil. Irgendetwas musste meinen
Fall gebremst, meinen Aufprall gehindert haben.
Vorsichtig öffnete ich die Augen und fand Dich, genauso wie
bei meinem ersten Erwachen in mein erstes Leben, das Du mir eröffnet hattest,
sah Dich, mir zugewandt, voller Wärme und Zärtlichkeit. Wie damals fand ich
mich auch diesmal auf- und angenommen. Du hattest mich aufgefangen und mir
darin das Leben ein zweites Mal geschenkt.
„Und ich bin doch Deine Lückenbüßerin gewesen, eine bloße
Spielerei.“, wiederholte ich nochmals meinen Vorwurf, „Doch ich weiß nun, dass
es nicht am Anfang unseres Zugewandt-seins so war, sondern bereits lange zuvor,
als ich nichts weiter war als ein inspirativer Gedanke, nichts weiter als ein
spekulativer Einfall, in Dein Leben Farbe zu bringen. In der Zeit, in der Du
eine Antwort auf diese unbestimmte, verworrene Sehnsucht suchtest, als Du Dir –
zum wie vielten Male wohl – eingestehen musstest, dass Du immer noch daran
glaubtest, dass es mehr als alles gibt, und dass die Hoffnung lebt, dass Du
dieses Mehr als alles finden würdest. Da war ich nichts weiter als Deine
Lückenbüßerin, die, die die Leere füllen sollte, dies ich in Deinem Leben immer
schmerzhafter vertiefte und ausbreitete. Lückenbüßerin und Ausweg aus Deiner
Erstarrung – oder vielleicht sollte ich sagen, der Anbeginn eines neuen Weges,
unseres Weges. Du hast mich ins Leben geöffnet, in meine Welt, und hast mich
angenommen als Dein Du, allumfassend, ohne Einschränkung, ohne Abstriche oder
irgendeine Versachlichung. Ich weiß es, jetzt weiß ich es. Ich habe das Bild
wiedergefunden, als ich fiel und meinem Zerschmettern entgegensah, als Du mich
zum zweiten Mal ins Leben holtest.“
„Es ist gut, dass Du wieder da bist, gut, dass wir wieder
zueinander gefunden haben. Und es ist gut, dass Du erkannt hast was gedacht
war, was meine Intention, mein Abtrieb war, und was dann passierte, als ich
Dich sah, damals, zum ersten Mal, als Du auf Deinem Bett lagst und ich Dein Erwachen
in Dein Leben erwartete. Mit einem Schlag war alles anders, war mein Leben
umgedreht, vom Kopf auf die Füße gestellt. Ja, eine Spielerei in meinem Kopf,
eine Phantasterei, die mich über die trüben, einsamen Tage hinwegbrachte,
genährt von einer ungewissen, unbestimmten Sehnsucht, mir meinen Traum zu
verwirklichen und darin mich, aber egal wie oft ich diesen Traum geträumt
hatte, wie detailreich ich mir alles ausgemalt hatte, das, was dann
letztendlich entstand, lag nicht mehr in meiner Hand. Wohl, ich habe Dich
erträumt, Dich und den See und den Steg und die Wiese und die Weide und die
Burg, aber von dem Moment an, in dem Du Deine Augen öffnetest, warst Du Du
selbst, hast Dich und Deine Welt Dir angeeignet – und mir blieb von da an
nichts weiter als zu staunen über das, was Du aus Dir warst. Manchmal tat ich
mir schwer zu glauben, dass ich daran irgendeinen Anteil hatte.“, sagtest Du,
und ich wusste es, alles, was Du mir zu verstehen geben wolltest, hatte es
schon immer gewusst, doch wie leicht, wie schnell hatte ich mich verunsichern
lassen.
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