Der Rosengarten 2102
Ein Stück des Weges gehen wir gemeinsam, Hand in Hand.
Niemand vermag zu sagen wie lange dieses Stück sein wird – oder wie kurz, und
ich will es mir auch gar nicht sagen lassen. Irgendwann wird es vorbei sein,
irgendwann – bloß nicht heute, und vielleicht ist uns auch noch die nächste
Nacht vergönnt und die übernächste, aber ich will nicht vorgreifen. Ich bin vorbereitet,
auf den Abschied, bin vorbereitet, auf das Unvermeidliche, und doch weiß ich,
dass es mich treffen wird, wie mich noch nie etwas getroffen hat, weil mich
noch nie jemand derart berührte, denke ich. Ich bin vorbereitet, auf das
Unausweichliche, und ertappe mich doch immer und immer wieder dabei, dass ich
vorplane, als gäbe es einen Teil in mir, der um das Nicht-zu-verleugnende weiß,
und einen anderen Teil, der es einfach ignoriert, das Gewußte schlicht nicht
zur Kenntnis nimmt, wenn nicht gar leugnet.
Ich fasste Deine Hand nur umso fester, wohl um mir zu
versichern, dass Du da warst, noch da und bei mir warst, zu versichern, dass es
heute noch nicht so weit war, atmete auf. Wir gingen den Weg hinauf zur Burg,
den von uns erdachten, von uns erschaffenen Weg, lachend und unbekümmert, bis
wir das große, schwere, schmiedeeiserne Tor erreichten. Was wohl dahinter sein
mochte? Wie wohl die Burg von innen aussehen würde? Sicherlich, wir hatten die
Burg sprechend erschaffen, sprechend dem Fluss des Chaos entrissen, und
dennoch, wer vermag schon mit offenen Augen und ungeschönt, ohne Weichnzeichner
in sein eigenes Herz zu sehen?
Vorsichtig öffneten wir die großen Torflügel, und noch bevor
wir Einzelheiten auszunehmen vermochten, empfing uns ein betörend süßer und
zugleich herber Duft. Der Innenhof war quadratisch, wie die Burg selbst,
umrahmt von einem Säulengang, doch in seiner Mitte, ein prächtiger, blühender
Rosengarten, ein wunderschöner, dichtbewachsener Rosengarten: Da hatte kein
Landschaftsgärtner hineingepfuscht, hatte niemand Hand angelegt. Diese Rosen
waren nicht mit irgendwelchem Werkzeug malträtiert worden. Sie durften wachsen
wie sie wollten und ihre ganze Pracht und Vielfalt entfalten. So wie wir,
ungezähmt, wild und unerforschlich war dieser Rosengarten. Weder seine
Schönheit noch seine Widerspenstigkeit war beherrschbar. Sich einzulassen oder
sich nicht einzulassen, das waren die Möglichkeiten, die wir hatten, die jeder
hat, der mich besucht.
„Willst Du Dich auf mich einlassen? Willst Du?“, wollte ich
Dich wissen.
„Willst Du Dich denn auf mich einlassen? Willst Du denn?“,
wolltest Du mich wissen.
„Als ob ich das nicht längst getan hätte.“, ließ ich Dich
wissen.
„Hier gibt es kein längst getan. Hier gibt es nur das Hier
und Jetzt der Entscheidung.“, ließt Du mich wissen.
„Ich will mich auf Dich einlassen, auf das Blühend-Sanfte,
wie auf das Dornig-Wilde.“, ließ ich Dich wissen.
„Ich will mich auf Dich einlassen, auf das Sanft-Samtene und
auf das Spröd-Rauhe.“, ließt Du mich wissen.
Und so gingen wir gemeinsam, hinein in unseren Rosengarten,
noch Hand in Hand, hinein, und es war mir, als sähe ich einen sanften, blauen
Schimmer, versteckt in seiner Mitte.
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