Die blaue Blume
Was hat es auf sich, mit dieser ungebändigten und
unbändigbaren Sehnsucht, die sich in mir breit macht, in mir wütet, wie ein
rasch wachsendes Geschwür, das ohne Heilung und Linderung bleibt, weil es kein
Mittel dagegen gibt?
Was hat es auf sich, mit dieser ewig vorwärtstreibenden
Ruhelosigkeit, die in mir wohnt, mich immer mehr und mehr in Besitz nimmt?
Was hat es auf sich, mit diesem ewig ungestillten und
unstillbarem Verlangen nach dem Mehr, nach dem Mehr als Alles, das es geben
muss, einfach geben muss, auch wenn ich es niemals finden werde?
Dort vorne, inmitten meines Rosengartens, hat sie kurz
aufgeleuchtet, war sie für einen Moment eingetaucht in das fahle, sanfte Licht
des Mondes, das sie aufblitzen ließ und damit selbst die ganze Pracht der
herrlichen Rosen überstrahlte, die blaue Blume, der Inbegriff der fortwährenden
Suche nach dem, was ich eigentlich nicht finden will. Nur die Gewißheit, dass
es sie gibt, dass ich sie erreichen könnte, dass ich mich vor ihr niederknie
und sie mir aneigne, sie mir zu eigen machen könnte, nur diese Gewißheit genügt
mir. Denn ganz gleich, ob ich sie pflücken oder mitsamt den Wurzeln ausgraben
würde, sie würde sterben, genau in diesem Moment, würde den Kopf hängen lassen
und nie mehr blühen, nie mehr leuchten, würde mir nie mehr blühen, mir nie mehr
leuchten. Jegliches Ziel, jegliche Orientierung und jeglicher Sinn wäre mir
verloren.
Die blaue Blume, die sich mir kurz zeigt, sie ist der
Inbegriff aller Antworten auf meine ungebändigte und unbändigbare Sehnsucht.
Doch was kommt nach allen Antworten, nach der Gewißheit? Nichts mehr worauf
sich meine Sehnsucht richten könnt, ja nicht einmal mehr die Sehnsucht selbst!
Die blaue Blume, die sich mir zeigt, sie ist der Ort um zur
Ruhe zu kommen, der Ort, an dem sich alles Vorwärtsstreben erledigt, ist
Verführung zum Stillstand und Godot. Doch was wäre alles Streben ohne Antrieb?
Nichts mehr worauf sich meine Entdeckerfreude richten könnte!
Die blaue Blume, die sich mir zeigt, sie ist das Mehr als
Alles, an das ich glaube, weil ich daran glauben will, das Mehr als Alles, das
alle Halbheiten, alle Mißverständlichkeiten, alles Trennende überwindet, indem
es zur Ganzheit zusammenführt, alles Versprengte und Verlorene in sich fasst
und vereint. Doch was kommt nach der Gesamtheit, nach der Vereinigung zur
Ganzheit? Nichts mehr was es wert wäre auch nur die Augen zu öffnen.
Ich werfe nochmals einen Blick zu der Stelle, an der ich die
blaue Blume kurz aufblitzen sah, doch der blaue Schimmer ist verschwunden, so
dass ich aufs Neue anfangen kann sie zu suchen, so dass ich sie noch immer als
Ziel vor Augen haben darf, und sie mir als solches nicht verloren ging. Ich
mache mich wieder auf den Weg, zur blauen Blume. Vielleicht finde ich sie ja in
Dir.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen