In der Menge
Wir lachten und wir lebten, einfach so, ahnungslos, doch
bedacht aufeinander. Dieser Tag, an dem es geschah, war wie jeder andere,
ahnungsreich und voller Hoffnung.
„Wollen wir dort mit der Bahn fahren, hinauf auf den Berg
und die Welt von oben betrachten, heute, da der Himmel so klar und der Blick so
weit ist?“, schlug ich meinem Kind vor.
„Ja, das wollen wir. Das ist sicher aufregend!“, antwortete
mein Kind, und fasste meine Hand noch ein wenig fester, als es energisch
ausschritt, um die Halle zu erreichen, die zwischen uns und der Bahn lag, mich
hinter sich herziehend. Wir betraten die Halle, die mit Menschen überfüllt war,
mit Menschen, die alle mit der Bahn hinauf auf den Berg fahren wollten. Sie
hatten sich wohl auch alle gefreut, hatten alle gelächelt, bis sie die Halle
betraten, in der all die anderen waren, die auch hinaufwollten auf den Berg,
die auch mit der Bahn fahren wollten. Brav stellten sie sich hinten an, so wie
wir. Doch das Lächeln verschwand, und die Gesichter wirkten verbissen, als wäre
der Kampf um einen Platz in dieser Bahn ein Kampf ums Überleben. Ich nahm mein
Kind noch fester an der Hand, denn die Menschen um uns wirkten größer und
bedrohlicher als sie es wirklich waren. Immer mehr Menschen strömten in die
Halle, so dass wir bald eingekeilt waren zwischen großen, bedrohlich wirkenden
Menschen.
„Bleib nur ganz nahe bei mir, und es wird alles gut gehen.“,
sagte ich noch zu meinem Kind, das ängstlich zu mir aufblickte.
„Bleib nur ganz nahe bei mir und lass meine Hand nicht los,
dann kann gar nichts passieren.“, sagte ich noch zu meinem Kind, als ein
dumpfer Schlag meine Hand traf, als ich dem Schmerz nachgab und die kleine
Hand, die in meiner lag, freigab, als ich sofort wieder die Hand auszustrecken
suchte, um die kleine Hand meines Kindes abermals zu fassen, das mir
verzweifelt seinen kleinen Arm entgegenstreckte, als meine Hand dies seine
nicht mehr fand, weil die Lücke, die durch das Loslassen der Hand entstanden
war, sofort von einem Menschen gefüllt wurde, als ich versuchte mich an dem
Lückenfüller vorbei zu zwängen, als es mir nicht gelang, denn die Menschen
standen dicht an dicht, standen wie eine bewegliche Mauer. Unentwegt wurde man
vorwärts geschoben. Ich sah hinüber zu dem Platz, an dem mein Kind gerade noch
gestanden hatte, vorbei an dem Lückenfüller, doch da stand es nicht mehr.
Zentimeter um Zentimeter wurden wir vorwärtsgeschoben,
Zentimeter um Zentimeter drifteten wir weiter auseinander.
Ich rief, rief den Namen meines Kindes hinein in die
namenlose Masse, doch es war so laut, rund um mich so laut, dass mein Ruf ungehört
verhallte, so laut, rund um mich so laug, dass ich meine eigene Stimme kaum
hörte. Warum hatte ich bloß losgelassen? Es war nur eine Sekunde gewesen, nur
diese eine Sekunde Unaufmerksamkeit, und mein Kind war verschluckt worden von
dieser Menge.
„Bitte, bitte, lassen Sie mich durch. Ich muss zu meinem
Kind!“, flehte ich die Menschen um mich an, doch ihr Blick zeigte nichts als
Unverständnis, wenn sie sich nicht gar abwandten, wenn sie mir überhaupt
zuhörten.
Und Zentimeter um Zentimeter wurden wir vorwärtsgeschoben,
Zentimeter um Zentimeter drifteten wir weiter auseinander.
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