2802 In der Menge


In der Menge


Wir lachten und wir lebten, einfach so, ahnungslos, doch bedacht aufeinander. Dieser Tag, an dem es geschah, war wie jeder andere, ahnungsreich und voller Hoffnung.

„Wollen wir dort mit der Bahn fahren, hinauf auf den Berg und die Welt von oben betrachten, heute, da der Himmel so klar und der Blick so weit ist?“, schlug ich meinem Kind vor.
„Ja, das wollen wir. Das ist sicher aufregend!“, antwortete mein Kind, und fasste meine Hand noch ein wenig fester, als es energisch ausschritt, um die Halle zu erreichen, die zwischen uns und der Bahn lag, mich hinter sich herziehend. Wir betraten die Halle, die mit Menschen überfüllt war, mit Menschen, die alle mit der Bahn hinauf auf den Berg fahren wollten. Sie hatten sich wohl auch alle gefreut, hatten alle gelächelt, bis sie die Halle betraten, in der all die anderen waren, die auch hinaufwollten auf den Berg, die auch mit der Bahn fahren wollten. Brav stellten sie sich hinten an, so wie wir. Doch das Lächeln verschwand, und die Gesichter wirkten verbissen, als wäre der Kampf um einen Platz in dieser Bahn ein Kampf ums Überleben. Ich nahm mein Kind noch fester an der Hand, denn die Menschen um uns wirkten größer und bedrohlicher als sie es wirklich waren. Immer mehr Menschen strömten in die Halle, so dass wir bald eingekeilt waren zwischen großen, bedrohlich wirkenden Menschen.

„Bleib nur ganz nahe bei mir, und es wird alles gut gehen.“, sagte ich noch zu meinem Kind, das ängstlich zu mir aufblickte.
„Bleib nur ganz nahe bei mir und lass meine Hand nicht los, dann kann gar nichts passieren.“, sagte ich noch zu meinem Kind, als ein dumpfer Schlag meine Hand traf, als ich dem Schmerz nachgab und die kleine Hand, die in meiner lag, freigab, als ich sofort wieder die Hand auszustrecken suchte, um die kleine Hand meines Kindes abermals zu fassen, das mir verzweifelt seinen kleinen Arm entgegenstreckte, als meine Hand dies seine nicht mehr fand, weil die Lücke, die durch das Loslassen der Hand entstanden war, sofort von einem Menschen gefüllt wurde, als ich versuchte mich an dem Lückenfüller vorbei zu zwängen, als es mir nicht gelang, denn die Menschen standen dicht an dicht, standen wie eine bewegliche Mauer. Unentwegt wurde man vorwärts geschoben. Ich sah hinüber zu dem Platz, an dem mein Kind gerade noch gestanden hatte, vorbei an dem Lückenfüller, doch da stand es nicht mehr.

Zentimeter um Zentimeter wurden wir vorwärtsgeschoben, Zentimeter um Zentimeter drifteten wir weiter auseinander.

Ich rief, rief den Namen meines Kindes hinein in die namenlose Masse, doch es war so laut, rund um mich so laut, dass mein Ruf ungehört verhallte, so laut, rund um mich so laug, dass ich meine eigene Stimme kaum hörte. Warum hatte ich bloß losgelassen? Es war nur eine Sekunde gewesen, nur diese eine Sekunde Unaufmerksamkeit, und mein Kind war verschluckt worden von dieser Menge.

„Bitte, bitte, lassen Sie mich durch. Ich muss zu meinem Kind!“, flehte ich die Menschen um mich an, doch ihr Blick zeigte nichts als Unverständnis, wenn sie sich nicht gar abwandten, wenn sie mir überhaupt zuhörten.

Und Zentimeter um Zentimeter wurden wir vorwärtsgeschoben, Zentimeter um Zentimeter drifteten wir weiter auseinander.

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