Die Reise (1. Teil)
Es war eine wunderschöne, klare Vollmondnacht, diese Nacht,
als ich sie entdeckte, an den Stamm der Weide gelehnt, ganz klein, ganz
versteckt, ganz in sich gekehrt. Eine beunruhigende Ruhe ging von ihr aus, und
da selbst die Weide nicht sprach, da der Wind noch schlief, setzte ich mich
ganz einfach zu ihr, neben sie, ohne die Distanz aufzuhalten, ohne sie zu
forcieren.
„Ich bin hier, weil ich Dir meine Geschichte erzählen will,
und ich habe gehört, hier ist der Ort um seine Geschichte zu erzählen, hier, in
Deiner Welt, in der nichts verloren geht, und die mit und aus dem Erzählen
lebt, Dir meine Geschichte zu erzählen,
die Dich erweitern könnte und Dich wachsen lässt.“, sagte sie ohne
Umschweife.
„Hier ist der Ort, jetzt ist die Zeit, und ich bin da.
Erzähle – ich höre.“, forderte ich sie auf.
„Der, dem ich mit meinem ganzen Herzen, meiner ganzen Seele
und meinem ganzen Sein verbunden bin, sagte eines Tages zu mir:
‚Wir wollen uns auf den Weg machen, wollen unsere Boote
verbinden, so wie wir einander verbunden sind und uns hinausführen lassen auf
das weite Meer, uns dem Wind und den Wellen anvertrauen, so wie wir uns uns
anvertrauen. Wohin sie uns auch tragen und treiben, dort soll unser Platz und
unserer Bestimmung sein, so wie wir uns bestimmt sind.’
Es war eine wunderbare Idee unser Gemeinsam zu leben und zu
entfalten. So verbanden wir unsere Boote, so dass sie wie eins aussahen, so
kompakt und verschmolzen, als hätte sie sie einzeln niemals gegeben. Bei einer
leichten Brise und sanftem Wellengang, legten wir ab. Dennoch waren wir bereits
nach kürzester Zeit weit draußen auf dem Meer, hatten das Ufer weit hinter uns gelassen,
und weit und breit war kein anderes zu sehen. Nach kürzester Zeit? Nun, ich
kann es nicht sicher sagen, denn es war eine beglückende, erfüllte Zeit, die
sich nicht in Maße passen läßt, und sich jeder Einengung widersetzt. Vielleicht
waren es nur wenige Minuten. Genauso gut könnten es auch Jahre gewesen sein. Es
war auch völlig einerlei, denn die Zeit sagt nur etwas über das Ausmaß des
Unglücks und nichts über das Glück aus. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde,
aber dem Unglücklichen gräbt sich jede einzelne Minute schmerzlich ein, und wir
waren auf der Seite der Glücklichen, von keiner weiteren Absicht beseelt als
uns zu sein, und selbst das ist zu viel gesagt, denn wir waren nicht einmal
absichtsvoll, nur gewiss, bis jene Nacht hereinbrach, die alles ändern sollte.
Von einem auf den anderen Moment war der Himmel voller
schwarzer Gewitterwolken. Wir hatten es nicht geahnt und nicht kommen sehen.
Plötzlich regnete es in Strömen und helle Blitze durchzuckten die Nacht,
während ein schwerer Sturmwind die Wellen aufpeitschte und an der Verbindung
unserer Boote riss und zerrte.
Wie stark war sie wirklich? Wie viel würde sie aushalten,
diese, unsere Verbindung? Wie lange würde sie den auf sie wirkenden Kräften zu
trotzen vermögen?
Ängstlich und kleinlaut hielten wir uns an den Händen,
während wir mitansehen mussten, wie sich die Verbindung immer mehr lockerte,
wie sie schließlich brach und uns letztendlich auch unsere Hände entglitten,
wie unsere Boote immer mehr voneinander drifteten, ohne Möglichkeit es
aufzuhalten, bis wir uns aus den Augen verloren, und nun jeder für sich kämpfen
musste, durch Sturm, Nacht und Regen.“ So erzählte sie mir. Und ich sah es vor
mir, die Verlorenheit und die Ohnmacht, den Schmerz und die Demütigung, doch
war die Geschichte wirklich hier zu Ende?
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