Entscheidungen
„Sabrina war also Geschäftsfrau geworden und Sarah
Künstlerin. So hatten sie ihren Weg gefunden, und waren ihn gegangen, wohl jede
auf die ihr eigene Weise, aber sie hatten eines darin gemeinsam, die Konsequenz
und das Durchhaltevermögen. Sabrina ist die Frau der Zahlen, Sarah die der
Bilder und Farben. Niemals, so mein Eindruck, sahen sie zurück und niemals wäre
etwas anderes denkbar, ja nicht einmal vorstellbar gewesen als eben jener Weg,
den sie gegangen sind. Ich gebe es unumwunden zu, ich bewunderte, ja mitunter
beneidete ich sie wohl auch für diese Gewißheit und Zweifelsfreiheit. In all
ihrer selbstgewählten Abhängigkeit hatten sie mir diese eine Freiheit voraus,
die Freiheit sich innerhalb der Grenzen ihrer Entscheidung zu bewegen. Doch
ich, ich habe diese Entscheidung für mich nie getroffen. Eine Zeit lang bewegte
ich mich im Wissenschaftsbereich. Alle waren zufrieden mit mir, nur ich nicht,
denn sehr bals schon stieß ich an die Grenzen der Wissenschaftlichkeit, des
wissentlich Fassbaren. So eng ist der Kreis dessen was wägbar, messbar, fassbar
ist, und ich wollte darüber hinaus und stellte mich damit ins Aus. So
entschloss ich mich dazu das Leben zu fassen, richtig, ehrlich, kompakt. Ich
wollte berühren und greifen, spüren und atmen. Also wurde ich Gärtnerin. Das bedeutet
wirklich anzupacken und mittendrin zu sein, verbunden zu sein mit der Erde und
all dem, was die Erde uns schenkt. Darin war ich recht zufrieden, eine Zeit
lang, denke ich. Naturverbundenheit und Freiheit, erlebte ich hier, doch auch
das war mir mit der Zeit zu wenig. Natürlich, auch das war eine Verantwortung,
doch es kam keine Resonanz. So begann ich mich abermals auf den Weg zu machen
mir eine neue Aufgabe zu suchen und fand sie im sozialen Engagement, arbeitete
mit alten Menschen und mit Sandlern, und stellte mich mit ihnen an den Rand der
Gesellschaft, die nur das Jugendliche, Erfolgreiche und Schöne sehen will, und
alle an den Rand drängt, die das Bild stören und keine Konsumenten sind. Ich
ließ mich hinein- und hinunterziehen, ließ mich ein, bis ich wirklich einer von
ihnen war, doch als ich an diesem Punkt angelangt war, merkte ich, ich war
ihnen keine Hilfe mehr, nur mitleidend. So raffte ich mich noch einmal auf und
versuchte mich dort zu engagieren, wo die Rahmenbedingungen für all diese Menschen
verbessert werden könnten, in die Politik, doch von dem wandte ich mich am
schnellsten wieder ab, denn nirgendwo sonst wird so sehr auf den eigenen
Vorteil geachtet, nirgendwo sonst so wenig an andere und deren Bedürfnisse
gedacht. Und jetzt, jetzt bin ich hier, und blicke auf einen bunten Teppich aus
Erfahrungen zurück, einen einzigen Flickenteppich, und weiß immer noch nicht wo
ich hingehöre oder was mein Talent ist.“, und damit schloss sie ihre Erzählung.
Ich hatte aufmerksam zugehört und verstanden. „Steh auf, tritt ein paar
Schritte zurück, und dann sieh noch einmal auf Deinen Lebensteppich.“, forderte
ich sie auf. „Du hast recht, da taucht plötzlich ein Weg, ein durchgehender,
erkennbarer, wohl recht verschlungener, aber doch ein Weg, umrahmt von vielen
bunten, lebendigen Bildern.“, entdeckte sie plötzlich, „Aber dennoch, warum hat
sie mir nicht einen Rat mitgegeben, meine Mutter?“, fügte sie nachdenklich
hinzu. „Weil Du niemandem raten kannst, denn Deinen Weg kannst nur Du finden,
denn auch nur Du kannst ihn gehen.“, antwortete ich. „Aber welcher ist
meiner?“, fragte sie. „Lass Dich führen, durch Deine Offenheit und Deine
Neugierde, und Du wirst einen Platz finden um zu bleiben.“, antwortete ich.
„Dann schickst Du mich fort?“, fragte sie. „Ja, ich schicke Dich fort, aber
komm wieder, wenn Du angekommen bist.“, sagte ich, und sah ihrem Fortgang noch
lange nach.
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