Das Drama mit dem „Happy End“ (Teil 1)
Jede Geschichte beginnt mit dem ersten Satz.
So banal diese Einsicht auch sein mag, so verbissen wird an
diesem gefeilt. Nicht, dass irgendjemand auf die Idee käme eine Geschichte nach
dem ersten Satz zu beurteilen, doch es könnte ja immerhin trotzdem sein,
trotzdem. Zu diesem Zeitpunkt, zu dem der erste Satz formuliert wird, gibt es
den Rest der Geschichte zumeist schon fix fertig im Kopf. Nachdem es nach wie
vor nicht möglich ist diesen Rest einfach heraus zu scannen, muss sie wohl oder
übel geschrieben werden. Es geht recht glatt von der Hand, Szene reiht sich an
Szene, und die Protagonisten spielen brav mit, wie Marionetten an der Schnur,
und wenn die Autorin beschließt, dass sie nach links gehen, dann gehen sie nach
links. Und wenn sie will, dass sie nach rechts gehen, dann gehen sie nach
rechts. So ist es vorgesehen, und so geschieht es auch. Irgendwann liegt dann
die Geschichte fertig ausformuliert vor. Nein, nicht fertig, denn plötzlich
stockt die Feder und die große, bisher ungestellte, da tunlichst vermiedene
Frage steht gespenstisch im Raum, grinst unter dem schwarzen Umhang, der sie
unkenntlich machen soll, hämisch hervor. Es ist nun an der Zeit Schluss zu
machen.
Doch wie soll dieser Schluss aussehen?
Immer noch und trotz aller Lebenserfahrung, oder vielleicht
gerade wegen der Lebenserfahrung, wünschen sich wohl die meisten so etwas, was
sich als „Happy End“ bezeichnen ließe. Wenn ein Schwerkranker Genesung findet,
eine angesagte Katastrophe doch nicht stattfindet oder das Opfer, das in letzter
Sekunde aus den Klauen des eiskalten Killers, gerettet wird, das ist alles
wunderbar. Aber was ist mit dem „Happy End“ bei einer Geschichte, die sich mit
zwischenmenschlichen Belangen beschäftigt? Sollen sie sich finden, die beiden,
nach langen Um- und Irrwegen, auf dass sie sich den Rest ihres Lebens, selig
lächelnd, Hand in Hand, lustwandelnd
ergehen? Ist das denn wirklich ein „Happy End“?
Das kann nur der Schluss ein, und vor allem das Ende, in
jeglicher Hinsicht. Natürlich, es ist schön das Buch wieder aufzuklappen, nach
5 Jahren, 10 Jahren, 20 Jahren, um nach wie vor zu lesen, „Sie lebten glücklich
und zufrieden“ (dahin und dahin und dahin), seufzt kurz und läßt sie in ihrem
Glück, zu dem sie durch dieses „Happy End“ verdammt sind, wieder alleine. Sollen
die doch sehen wie sie damit fertig werden. Beneidenswert und trügerisch
zugleich. Die beiden, die händchenhaltend, die Blicke ineinander verloren, auf
einem Bänkchen sitzen, am idyllischen Waldesrand, am besten noch mit einem
Sonnenuntergang im Hintergrund, den die beiden natürlich nicht sehen können, da
sie ja nur Augen füreinander haben, bleiben für immer. Welche starke oder
simple Natur, die das aushält. Wer mag da nicht hoffen, dass Beckett sich
erhebt und schnell noch etwas dazu erfindet.
Sonnenuntergang und Sonnenuntergang und Sonnenuntergang. Die
beiden sitzen mittlerweile weitab voneinander, jeder am äußersten Ende der
Bank, von der die Farbe längst abgeblättert ist, während der Wald gerodet, die
freie Fläche zubetoniert wurde.
„Aber wir hatten ein ‚Happy End’“, hören wir vom einem Ende
der Bank.
„Die anderen vielleicht, aber wir sind hier gefangen, und
haben nicht einmal einen Herrn Godot, auf den wir warten könnten.“, tönt es vom
anderen Ende der Bank zurück.
Dann doch lieber kein „Happy End“? Oder sieht ein „Happy
End“ vielleicht überhaupt ganz anders aus?
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