2505 Das Drama mit dem "Happy End" (Teil 1)


Das Drama mit dem „Happy End“ (Teil 1)


Jede Geschichte beginnt mit dem ersten Satz.

So banal diese Einsicht auch sein mag, so verbissen wird an diesem gefeilt. Nicht, dass irgendjemand auf die Idee käme eine Geschichte nach dem ersten Satz zu beurteilen, doch es könnte ja immerhin trotzdem sein, trotzdem. Zu diesem Zeitpunkt, zu dem der erste Satz formuliert wird, gibt es den Rest der Geschichte zumeist schon fix fertig im Kopf. Nachdem es nach wie vor nicht möglich ist diesen Rest einfach heraus zu scannen, muss sie wohl oder übel geschrieben werden. Es geht recht glatt von der Hand, Szene reiht sich an Szene, und die Protagonisten spielen brav mit, wie Marionetten an der Schnur, und wenn die Autorin beschließt, dass sie nach links gehen, dann gehen sie nach links. Und wenn sie will, dass sie nach rechts gehen, dann gehen sie nach rechts. So ist es vorgesehen, und so geschieht es auch. Irgendwann liegt dann die Geschichte fertig ausformuliert vor. Nein, nicht fertig, denn plötzlich stockt die Feder und die große, bisher ungestellte, da tunlichst vermiedene Frage steht gespenstisch im Raum, grinst unter dem schwarzen Umhang, der sie unkenntlich machen soll, hämisch hervor. Es ist nun an der Zeit Schluss zu machen.

Doch wie soll dieser Schluss aussehen?

Immer noch und trotz aller Lebenserfahrung, oder vielleicht gerade wegen der Lebenserfahrung, wünschen sich wohl die meisten so etwas, was sich als „Happy End“ bezeichnen ließe. Wenn ein Schwerkranker Genesung findet, eine angesagte Katastrophe doch nicht stattfindet oder das Opfer, das in letzter Sekunde aus den Klauen des eiskalten Killers, gerettet wird, das ist alles wunderbar. Aber was ist mit dem „Happy End“ bei einer Geschichte, die sich mit zwischenmenschlichen Belangen beschäftigt? Sollen sie sich finden, die beiden, nach langen Um- und Irrwegen, auf dass sie sich den Rest ihres Lebens, selig lächelnd,  Hand in Hand, lustwandelnd ergehen? Ist das denn wirklich ein „Happy End“?

Das kann nur der Schluss ein, und vor allem das Ende, in jeglicher Hinsicht. Natürlich, es ist schön das Buch wieder aufzuklappen, nach 5 Jahren, 10 Jahren, 20 Jahren, um nach wie vor zu lesen, „Sie lebten glücklich und zufrieden“ (dahin und dahin und dahin), seufzt kurz und läßt sie in ihrem Glück, zu dem sie durch dieses „Happy End“ verdammt sind, wieder alleine. Sollen die doch sehen wie sie damit fertig werden. Beneidenswert und trügerisch zugleich. Die beiden, die händchenhaltend, die Blicke ineinander verloren, auf einem Bänkchen sitzen, am idyllischen Waldesrand, am besten noch mit einem Sonnenuntergang im Hintergrund, den die beiden natürlich nicht sehen können, da sie ja nur Augen füreinander haben, bleiben für immer. Welche starke oder simple Natur, die das aushält. Wer mag da nicht hoffen, dass Beckett sich erhebt und schnell noch etwas dazu erfindet.

Sonnenuntergang und Sonnenuntergang und Sonnenuntergang. Die beiden sitzen mittlerweile weitab voneinander, jeder am äußersten Ende der Bank, von der die Farbe längst abgeblättert ist, während der Wald gerodet, die freie Fläche zubetoniert wurde.
„Aber wir hatten ein ‚Happy End’“, hören wir vom einem Ende der Bank.
„Die anderen vielleicht, aber wir sind hier gefangen, und haben nicht einmal einen Herrn Godot, auf den wir warten könnten.“, tönt es vom anderen Ende der Bank zurück.

Dann doch lieber kein „Happy End“? Oder sieht ein „Happy End“ vielleicht überhaupt ganz anders aus?

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