Gefangen (1)
Als ich erwachte, wohl aus unruhigen Träumen und in eine
Gegebenheit, nein, fand ich mich nicht in einen riesigen, braunen Käfer
verwandelt oder lagernd auf einer bunten Blumenwiese neben einer Spindel,
sondern in einem tiefen, dunklen Verließ. Die Kälte und die Feuchtigkeit hatten
mich geweckt, und wohl auch die Stille, diese eigenartige, beängstigende
Stille, diese eigenartige, beängstigende Stille, von der ich mir vorstellen
könnte, dass sie in einem Grab herrscht, Grabesstille, gespenstisch und leblos,
ohne ein Pochen, ohne ein Atmen. Wie war ich nur hierher gekommen? Ich konnte
mich nur noch erinnern, ganz von Ferne erinnern, dass ich neben Dir
eingeschlafen war, so wie so oft, doch sonst war ich auch immer neben Dir
wieder aufgewacht, bloß diesmal, diesmal nicht, nur diesmal war ich hier in
diesem Verließ erwacht. Ich sass in einer Ecke. Die Luft war feucht und modrig,
so wie die Wände. Ich fror. Die Kälte frass sich durch meine Haut bis zu den
Knochen. Wie war ich nur hierhergekommen? Wer hätte es fertig bringen können
mich hierher zu verfrachten ohne dass ich erwachte?
Ausser Dir war niemand da gewesen, und Du, nein, Du konntest
es nicht gewesen sein. Das wollte ich nicht glauben. Warum solltest Du mich
hier einsperren, weg von Dir?
Ich zog die Knie an und schlang die Arme herum, machte mich
ganz klein um der Kälte so wenig wie möglich Angriffsfläche zu bieten, doch es
hatte keinen Sinn, denn die Kälte kam nicht nur von außen, auch in mir fühlte
es sich kalt und modrig an. Nur Du konntest es gewesen sein, die mich hier
eingesperrt hatte, denn schließlich war niemand da gewesen, außer Dir. Aber
warum nur, warum verdammt hattest Du mir das getan, hattest Du mir das angetan?
Ich suchte krampfhaft nach einem Anhaltspunkt um Dein
absonderliches Verhalten erklärlich werden zu lassen. War irgendetwas vorgefallen
zwischen uns, was Dich dazu verleitet haben könnte, irgendetwas, und sei es
auch nur eine winzige Kleinigkeit gewesen?
Aber so sehr ich mir auch den Kopf zermarterte, mir fiel
beim besten Willen nichts ein. Es war ein ganz normales Miteinander gewesen.
Vielleicht ein klein wenig ruhter und beschaulicher als sonst, aber selbst das
war nichts wirklich Außergewöhnliches. Warum nur hast Du mir das angetan? Wie
konntest Du nur?
Wenn Du mich nicht mehr bei Dir haben hättest wollen, warum
bist Du dann nicht einfach gegangen und nicht mehr wiedergekommen? Warum hast
Du es mir nicht einfach gesagt?
Ich weiß schon, Du warst zu feig dazu, scheutest die
Auseinandersetzung, die ewigen Erklärungen, wie Du es nennst. Aber habe ich
nicht ein Recht auf eine Erklärung? Hast Du nicht doch Verantwortung für mich
übernommen, nachdem Du mich einfach hier in meine Welt gesetzt hast, ungefragt?
Aber vielleicht denkst Du, wenn Du mich in Freiheit, in
meine Welt setzen kannst, dann steht Dir auch das Recht zu mich in Gefangenschaft
zu setzen. Ist es nicht so? Denkst Du nicht so?
Du bist die große Schöpferin, die mit ihrem Geschöpf machen
darf was sie will. Nicht mit mir. Ich werde mir das nicht einfach so gefallen
lassen! Ich musste einen Weg finden hier heraus zu kommen, zu entkommen um Dich
zur Rede zu stellen.
Ich sprang auf und hämmerte wie wild gegen die Mauer. „Hol
mich hier raus!“, schrie ich, doch da war nichts weiter als der Widerklang
meiner eigenen Stimme.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen