0806 Gefangen (1)


Gefangen (1)


Als ich erwachte, wohl aus unruhigen Träumen und in eine Gegebenheit, nein, fand ich mich nicht in einen riesigen, braunen Käfer verwandelt oder lagernd auf einer bunten Blumenwiese neben einer Spindel, sondern in einem tiefen, dunklen Verließ. Die Kälte und die Feuchtigkeit hatten mich geweckt, und wohl auch die Stille, diese eigenartige, beängstigende Stille, diese eigenartige, beängstigende Stille, von der ich mir vorstellen könnte, dass sie in einem Grab herrscht, Grabesstille, gespenstisch und leblos, ohne ein Pochen, ohne ein Atmen. Wie war ich nur hierher gekommen? Ich konnte mich nur noch erinnern, ganz von Ferne erinnern, dass ich neben Dir eingeschlafen war, so wie so oft, doch sonst war ich auch immer neben Dir wieder aufgewacht, bloß diesmal, diesmal nicht, nur diesmal war ich hier in diesem Verließ erwacht. Ich sass in einer Ecke. Die Luft war feucht und modrig, so wie die Wände. Ich fror. Die Kälte frass sich durch meine Haut bis zu den Knochen. Wie war ich nur hierhergekommen? Wer hätte es fertig bringen können mich hierher zu verfrachten ohne dass ich erwachte?

Ausser Dir war niemand da gewesen, und Du, nein, Du konntest es nicht gewesen sein. Das wollte ich nicht glauben. Warum solltest Du mich hier einsperren, weg von Dir?

Ich zog die Knie an und schlang die Arme herum, machte mich ganz klein um der Kälte so wenig wie möglich Angriffsfläche zu bieten, doch es hatte keinen Sinn, denn die Kälte kam nicht nur von außen, auch in mir fühlte es sich kalt und modrig an. Nur Du konntest es gewesen sein, die mich hier eingesperrt hatte, denn schließlich war niemand da gewesen, außer Dir. Aber warum nur, warum verdammt hattest Du mir das getan, hattest Du mir das angetan?

Ich suchte krampfhaft nach einem Anhaltspunkt um Dein absonderliches Verhalten erklärlich werden zu lassen. War irgendetwas vorgefallen zwischen uns, was Dich dazu verleitet haben könnte, irgendetwas, und sei es auch nur eine winzige Kleinigkeit gewesen?

Aber so sehr ich mir auch den Kopf zermarterte, mir fiel beim besten Willen nichts ein. Es war ein ganz normales Miteinander gewesen. Vielleicht ein klein wenig ruhter und beschaulicher als sonst, aber selbst das war nichts wirklich Außergewöhnliches. Warum nur hast Du mir das angetan? Wie konntest Du nur?

Wenn Du mich nicht mehr bei Dir haben hättest wollen, warum bist Du dann nicht einfach gegangen und nicht mehr wiedergekommen? Warum hast Du es mir nicht einfach gesagt?

Ich weiß schon, Du warst zu feig dazu, scheutest die Auseinandersetzung, die ewigen Erklärungen, wie Du es nennst. Aber habe ich nicht ein Recht auf eine Erklärung? Hast Du nicht doch Verantwortung für mich übernommen, nachdem Du mich einfach hier in meine Welt gesetzt hast, ungefragt?

Aber vielleicht denkst Du, wenn Du mich in Freiheit, in meine Welt setzen kannst, dann steht Dir auch das Recht zu mich in Gefangenschaft zu setzen. Ist es nicht so? Denkst Du nicht so?

Du bist die große Schöpferin, die mit ihrem Geschöpf machen darf was sie will. Nicht mit mir. Ich werde mir das nicht einfach so gefallen lassen! Ich musste einen Weg finden hier heraus zu kommen, zu entkommen um Dich zur Rede zu stellen.

Ich sprang auf und hämmerte wie wild gegen die Mauer. „Hol mich hier raus!“, schrie ich, doch da war nichts weiter als der Widerklang meiner eigenen Stimme.

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