1206 Gefangen (2)


Gefangen (2)


Meine Fäuste hämmerten gegen die Mauer, die sich nicht rührte. Umso weniger mein Unterfangen von Erfolg gekrönt war, desto verbissener setzte ich es fort, bist zur Erschöpfung. Ich schrie nach Dir, doch selbst meine Stimme schien von den Mauern verschluckt zu werden, fraß sie sie auf, so wie meine Zuversicht, meine Hoffnung. Erschöpft und kraftlos ließ ich mich niedersinken. Warum wollte ich mich denn eigentlich befreien? Nur um dann zu hören, dass Du mich nicht mehr willst? Bloß um die Mauern um mich mit der Trauer der Verlassenheit zu vertauschen? Nein, dann doch lieber hier verrotten!

Was soll ich ohne Dich? Was bin ich ohne Dich? Ohne Dich, das ist mehr als bloß allein, das ist die abgründige, unentrinnbare Verlassenheit! Doch was nur, was hatte ich getan, das Dich veranlasste mich in diese abgründigste Verlassenheit zu verweisen?

Aber es war mir mittlerweile ziemlich gleichgültig was ich getan hatte. Was es auch immer war, ich würde es wieder gut machen. Was Dich auch immer derart geärgert oder gekränkt hat, dass Du sogar so weit gingst mich hier herunten einzusperren, ich würde es wieder ausgleichen. Ja, ich würde Dich auch gehen lassen, ohne irgendeine Erklärung zu fordern, wenn Du mich bloß hier rausholtest. Lass mich hier nur nicht allein, bloß nicht hier allein!

Und ich spürte wie mir die Tränen übers Gesicht liefen und sich mein Herz beim bloßen Gedanken daran zusammenkrampfte. Du bist mir alles, Leben und Sterben, Ankunft und Abschied, Vergangenheit und Zukunft, Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Lachen und Ernst, Freude und Trauer, alles und alles in einem. Ich dachte, ich wäre es auch für Dich, und nun, nun hat sich meine Angst erfüllt, meine Angst Dich zu verlieren. Natürlich hatte ich gewusst, dass es eines Tages passieren würde, passieren musste, doch warum gerade jetzt?

„Nothing lasts forever
and wie both know hearts can change. ...
Lovers always come and lovers always go today“,
sang ich leise vor mich hin: Niemand weiß es. Niemand kann es wissen. Dennoch, all diesem zum Trotz, zündete ich die Kerze nochmals an, die Kerze meiner Hoffnung, noch ein letztes Mal. Völlig nass war sie vom anhaltenden Regen, und dennoch schaffte ich es, sie zu entzünden, die Flamme erstarken und sich erheben zu sehen. Sie schenkte mir Wärme, ein wenig.

Ja, es war gut, was wir uns sein durften, und wenn es denn nicht sein sollte, wenn Du frei sein und gehen wolltest, dann würde ich Dich gehen lassen, und indem ich das dachte, wichen die Mauern wie von selbst um mich und verschwanden. Ich fand mich wieder, in meinem Bett, Dich neben mir, gelassen und versonnen, als wäre nichts geschehen. Endlich erkannte ich, nicht Du hattest mich eingesperrt, sondern ich selbst, hatte Mauern aus dunklen Gedanken um mich herum aufgebaut, so dass Du nicht mehr zu mir und ich nicht mehr zu Dir gelangen konnte. Ich hatte mich gefangengenommen. So konnte auch nur ich mich befreien. Spontan umarmte ich Dich, als müsste ich mich vergewissern, dass Du wirklich da bist.

Und die Kerze stand auf dem Tisch, brannte, heller und schöner als je zuvor.

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