Ein kleines Stück Unabhängigkeit
Zufrieden und satt saß er an diesem Abend vor dem Fernseher,
als sie sich zu ihm setzte, nachdem die Kinder ganz brav eingeschlafen waren.
Geduldig wartete sie bis die Sportsendung zu Ende war, bevor sie sagte was sie
zu sagen haben meinte.
„Wie war Dein Tag, Schatz?“, fragte sie.
„Äußerst erfolgreich, aber auch dementsprechend anstrengend,
wie Du Dir denken kannst. Es wird einfach immer härter. Man muss immer 150%
geben, nicht einfach nur 100%, hörst Du, 150% sage ich“, erklärte er ihr.
„Ja, ich verstehe sehr gut was Du meinst“, stimmte sie ihm
zu.
„Aber es hilft ja nichts, denn schließlich will ich ja, dass
es meiner Familie gut geht“, fügte er hinzu.
„Es ist wirklich beeindruckend was Du alles für uns tust und
auf Dich nimmst“, bestätigte sie.
„Da hast Du recht, aber es ist auch gut und richtig so“,
stimmte er ihr zu und quittierte seine Worte mit einem zufriedenen Grunzen.
„So habe ich mir gedacht, ich könnte Dich doch ein wenig
entlasten“, sagte sie vorsichtig.
„Inwiefern könntest Du mich denn entlasten?“, fragte er
skeptisch.
„Nun, ich dachte mir, nachdem beide Kinder nunmehr in den
Kindergarten gehen, könnte ich doch wieder anfangen zu arbeiten“, sagte sie
vorsichtig.
„Und wie stellst Du Dir das vor? Die Kinder sind ja
schließlich nur am Vormittag im Kindergarten“, entgegnete er forsch.
„Es wären zu Anfang auch nur 20 Stunden, d.h. vier Stunden
pro Tag. Das ginge sich doch mit dem Kindergarten aus“, erklärte sie.
„Und welcher Arbeitgeber kann jemanden gebrauchen, der nur
20 Stunden anwesend ist?“, blieb er reserviert.
„Mein ehemaliger Chef. Ich habe heute beim Einkaufen eine
damalige Kollegin getroffen, die es mir erzählt hat. Das wäre doch optimal für
einen Neueinstieg“, versuchte sie es ihm schmackhaft zu machen.
„Du weißt, ich unterstütze Dich wo immer ich kann, doch über
eines musst Du Dir im Klaren sein, der Haushalt und die Kinder dürfen nicht
darunter leiden!“, erklärte er dezidiert.
„Du wirst sehen, das ist alles kein Problem. Ich würde von
halb acht bis um halb zwölf arbeiten“, sagte sie erfreut.
„Ach, so genau weißt Du das schon? Woher?“, fragte er
argwöhnisch.
„Das hat mir meine ehemalige Kollegin erzählt“, antwortete
sie knapp.
„Und das alles nebenbei beim Einkaufen? Wahrscheinlich hast
Du mal wieder den ganzen Vormittag im Kaffeehaus verbracht!“, mutmaßte er, und
es kam ihr vor, als müsste sie der Inquisition Rede und Antwort stehen.
„Ja, wir waren miteinander einen Kaffee trinken, aber
höchstens eine halbe Stunde“, rechtfertigte sie sich.
„Na gut“, sagte er mürrisch.
„Es wäre nur, dass Du die beiden in den Kindergarten bringen
müsstest“, sagte sie vorsichtig.
„Wie stellst Du Dir das vor?“, brauste er auf.
„Nun, es wäre genau zu der Zeit, zu der Du normalerweise zur
Arbeit fährst, so dass Du sie nur absetzen müsstest“, erklärte sie.
„Das geht auf gar keinen Fall. Nur, weil Du Dir einbildest
arbeiten gehen zu müssen, stelle ich doch nicht mein Leben auf den Kopf. Also
schlag Dir das gefälligst aus dem Kopf! Aber Du weißt ja, ich unterstütze Dich
wo ich nur kann“, sagte er abschließend, um sich nun wieder voll und ganz dem
Fernsehen zu widmen.
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