Die Turnstunde
„Du solltest endlich anfangen wieder ein bisschen Sport zu
machen“, hatte er zu ihr gesagt.
„Du meinst, wegen meiner Fitness?“, fragte sie naiv.
„Nein, weil Du fett geworden bist“, entgegnete er knapp.
„Das ist wirklich sehr charmant“, sagte sie betrübt.
„Wäre es Dir lieber, wenn ich Dich anlüge? Außerdem sehe ich
nicht ein, dass Du Dich noch etwa völlig neu einkleiden musst, bloß weil Du
nicht auf Dich achtest“, meinte er lakonisch.
Sie hatte also angefangen sich einen Kurs zu suchen. Das war
allerdings gar nicht so leicht, denn er musste auf jeden Fall zu einer Zeit
stattfinden, da die Kinder schon im Bett sein würden und der zudem nicht mit
den Verpflichtungen ihres Mannes kollidierte. So blieb nur der Montag Abend.
Denn dienstags und donnerstags musste er zum Kegeln, denn er brauchte auch einen
gewissen Ausgleich. Mittwoch war sein Stammtisch, denn soziale Kontakte zu
pflegen waren auch wichtig und Freitag und Samstag waren die Kinder länger auf.
Also Montag, ca. um halb neun, denn das war die Zeit, wo sie beinahe sicher
sein konnte, dass die Kinder schliefen und er nur mehr da zu sein brauchte ohne
weiters gestört zu werden. Und natürlich durfte es auch nicht allzu weit weg
sein. Unter diesen Prämissen begann sie zu suchen. Tatsächlich fand sie etwas.
Es handelte sich um einen Turnkursus für Frauen zur Bekämpfung überschüssiger
Fettpölsterchen. Es war zwar nicht ganz das, was ihr vorgeschwebt war, aber es
war das einzig Mögliche, denn schließlich hatte sie immer gewusst, dass sie
Abstriche machen musste, wenn sie Kinder hatte. Sie hatte also diesen Kurs
belegt, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie gleich danach nach Hause
käme, denn sonst sähen sie sich ja die ganze Woche nicht. So zumindest hatte
ihr Mann argumentiert, und sie hielt sich auch ganz ordentlich an diese
Vorgabe, obwohl es ihr manchmal schon gefallen hätte mit den anderen
Teilnehmerinnen im Anschluss noch ein wenig zu plaudern, denn wie sich
herausstellte, befanden sich diese durchweg in der selben Situation wie sie,
doch letztendlich gewann das Pflichtbewußtsein über die Neigung. Schließlich
konnte sie ja ihren Mann nicht ständig alleine lassen. Der Kurs gefiel ihr sehr
gut, und es gelang ihr innerhalb kürzester Zeit ihre Figur wieder auf
Vordermann zu bringen. Mittlerweile freute sie sich auf die Montagabende,
freute sich darauf ein wenig hinauszukommen und andere Menschen zu sehen. Nur
noch zwei Stunden, dachte sie an diesem Montag, doch dann kam der Anruf. Es war
ihr Mann.
„Schatz, ich fürchte, Du wirst Deine Turnstunde heute wohl
ausfallen lassen müssen!“, sagte er unumwunden.
„Aber warum denn?“, fragte sie enttäuscht.
„Ich muss mit meinen Kollegen noch was besprechen. Das ist
äußerst wichtig“, meinte er knapp.
„Aber warum gerade heute?“, fragte sie weiter.
„Du weißt, dass ich die anderen Abende nicht kann, und was
ist denn schon dabei, wenn Du Dein Turnen einmal ausfallen lässt“, sagte er
unbekümmert.
„Dann lass doch Dein Kegeln ausfallen“, insistierte sie.
„Das ist aber jetzt nicht wirklich Dein Ernst? Irgendwann
muss ich mich entspannen. Sei nicht immer so egoistisch“, meinte er entrüstet.
„Ja, ich werde nicht mehr egoistisch sein“, meinte sie
tonlos und legte auf.
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