Bilder – geborgte, geschenkte, gestohlene
Nichts weiter als die Beschreibung von Bildern ist mein
Schreiben. Nichts weiter als das Malen mit Worten sind meine Geschichten.
Deshalb sammle ich Bilder. Ganz egal wo ich bin oder was mir begegnet, immer
bin ich auf der Suche nach Bildern, und bisher habe ich auch immer welche
gefunden. Nicht, dass ich sie sofort verarbeitete. Manche sind wohl so stark,
dass sie zur Umsetzung drängen. Andere wiederum sind im Moment nicht mehr als
eine kleine Notiz, die ich irgendwann wiederfinde. Wieder andere sind noch zu
verschwommen, zu unklar um beschrieben zu werden. Diese müssen erst reifen.
Doch noch wichtiger als die Bilder, die ich finde, sind die, die mich finden,
in all den unzähligen Begegnungen, die mir das Leben beschert. Egal ob im Zug,
im Café oder nur in der Warteschlange an der Kassa, überall begegnen mir
Menschen, die mir ihre Geschichte erzählen. Trotzdem oder gerade weil ich eine
Fremde bin erzählen sie mir ihre Geschichte. Manchmal ausführlich und
detailliert, manchmal verdichtet und prägnant. Wir begegnen einander, tauchen
ein in den Moment und trennen uns wieder, um uns wahrscheinlich nie wieder zu
begegnen. Es sind wunderbare Begegnungen, da jeweils für sich einmalig. So
unterschiedlich und unvergleichlich diese Geschichten auch sein mögen, das eine
haben wie alle gemein, es gibt in allen ein Bild, das mich findet. Nein, ich
erzähle nicht ihre Geschichte nach, denn es ist ihre, bloß das eine Bild daraus
beschreibe ich, diesen einen, kleinen Schnappschuss. So bestehen meine
Geschichten aus vielen geborgten, geschenkten und gestohlenen Bildern. Nein,
nicht gestohlenen, denn am Ende einer jeden solchen Begegnung frage ich ob ich
dieses eine Bild geschenkt bekäme. Fast immer wird mir dieses Geschenk zuteil.
Bloß ab und an behält sich die Erzählerin das Recht auf das Bild vor, so dass
ich es mir auf unbestimmte Zeit ausborge. Nur ein einziges Mal habe ich ein
Bild gestohlen, weil ich nicht mehr die Möglichkeit fand zu fragen. Es war
eines der schönsten Bilder, die mich je fanden, und bis heute plagt mich der
Gedanke es benutzt zu haben ohne es mir auszubitten, seit jenem Juninachmittag
im Innenhof der Universität Wien. Heute ist er zubetoniert, doch damals waren
da noch Wiese und Bäume. Ich hatte wohl Zeit zwischen der einen und der
nächsten Vorlesung und war den stickigen Räumen in den Schatten einer mächtigen
Kastanie entflohen. Ganz in der Nähe saßen fünf Burschen, wobei vier von ihnen
auf einen aufs heftigste einredeten. Sie saßen zu weit weg von mir, als dass
ich ihre Worte verstehen konnte, aber ich merkte ganz deutlich, dass sich der
eine, auf den sie einredeten, aufs heftigste dagegen wehrte, mit Worten und
Gesten. Endlich, als sie sich keinen Rat mehr wussten und sich hilfesuchend
umsahen, entdeckten sie mich und sich hilfesuchend umsahen, entdeckten sie
mich. Ja, sie ertappten mich dabei wie ich sie beobachtete. „Unser Freund
hier“, und damit deutete einer von den Burschen auf jenen, auf den sie die
ganze Zeit eingeredet hatten, „will sich von uns nichts sagen lassen.
Vielleicht hast Du mehr Glück. Würdest Du es versuchen?“, fragte er mich. „Ja,
ich werde, wenn ich kann“, entgegnete ich bestimmt, woraufhin sie mir die
Geschichte erzählten, in der ich besagtes Bild fand. Beide Seiten bekam ich zu
hören, die des Betroffenen und die seiner Freunde. Letztendlich sagte ich nur:
„Demjenigen, der Dir Gutes tut, Dankbarkeit zu erweisen, ist eine
Selbstverständlichkeit. Sobald aber derjenige, der Dir Gutes tat, Dich damit in
Knechtschaft nimmt, wandelt sich das vormals Gute in Frondienst, den niemand
auf der Welt abverlangen darf.“ Das war alles. „Danke, Du hast mich gerettet“,
sagte der Betroffene knapp, und eilte davon. Seine Freunde folgten ihm so dass
ich nicht mehr um dieses Bild bitten konnte.
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