0507 Bilder - geborgte, geschenkte, gestohlene


Bilder – geborgte, geschenkte, gestohlene


Nichts weiter als die Beschreibung von Bildern ist mein Schreiben. Nichts weiter als das Malen mit Worten sind meine Geschichten. Deshalb sammle ich Bilder. Ganz egal wo ich bin oder was mir begegnet, immer bin ich auf der Suche nach Bildern, und bisher habe ich auch immer welche gefunden. Nicht, dass ich sie sofort verarbeitete. Manche sind wohl so stark, dass sie zur Umsetzung drängen. Andere wiederum sind im Moment nicht mehr als eine kleine Notiz, die ich irgendwann wiederfinde. Wieder andere sind noch zu verschwommen, zu unklar um beschrieben zu werden. Diese müssen erst reifen. Doch noch wichtiger als die Bilder, die ich finde, sind die, die mich finden, in all den unzähligen Begegnungen, die mir das Leben beschert. Egal ob im Zug, im Café oder nur in der Warteschlange an der Kassa, überall begegnen mir Menschen, die mir ihre Geschichte erzählen. Trotzdem oder gerade weil ich eine Fremde bin erzählen sie mir ihre Geschichte. Manchmal ausführlich und detailliert, manchmal verdichtet und prägnant. Wir begegnen einander, tauchen ein in den Moment und trennen uns wieder, um uns wahrscheinlich nie wieder zu begegnen. Es sind wunderbare Begegnungen, da jeweils für sich einmalig. So unterschiedlich und unvergleichlich diese Geschichten auch sein mögen, das eine haben wie alle gemein, es gibt in allen ein Bild, das mich findet. Nein, ich erzähle nicht ihre Geschichte nach, denn es ist ihre, bloß das eine Bild daraus beschreibe ich, diesen einen, kleinen Schnappschuss. So bestehen meine Geschichten aus vielen geborgten, geschenkten und gestohlenen Bildern. Nein, nicht gestohlenen, denn am Ende einer jeden solchen Begegnung frage ich ob ich dieses eine Bild geschenkt bekäme. Fast immer wird mir dieses Geschenk zuteil. Bloß ab und an behält sich die Erzählerin das Recht auf das Bild vor, so dass ich es mir auf unbestimmte Zeit ausborge. Nur ein einziges Mal habe ich ein Bild gestohlen, weil ich nicht mehr die Möglichkeit fand zu fragen. Es war eines der schönsten Bilder, die mich je fanden, und bis heute plagt mich der Gedanke es benutzt zu haben ohne es mir auszubitten, seit jenem Juninachmittag im Innenhof der Universität Wien. Heute ist er zubetoniert, doch damals waren da noch Wiese und Bäume. Ich hatte wohl Zeit zwischen der einen und der nächsten Vorlesung und war den stickigen Räumen in den Schatten einer mächtigen Kastanie entflohen. Ganz in der Nähe saßen fünf Burschen, wobei vier von ihnen auf einen aufs heftigste einredeten. Sie saßen zu weit weg von mir, als dass ich ihre Worte verstehen konnte, aber ich merkte ganz deutlich, dass sich der eine, auf den sie einredeten, aufs heftigste dagegen wehrte, mit Worten und Gesten. Endlich, als sie sich keinen Rat mehr wussten und sich hilfesuchend umsahen, entdeckten sie mich und sich hilfesuchend umsahen, entdeckten sie mich. Ja, sie ertappten mich dabei wie ich sie beobachtete. „Unser Freund hier“, und damit deutete einer von den Burschen auf jenen, auf den sie die ganze Zeit eingeredet hatten, „will sich von uns nichts sagen lassen. Vielleicht hast Du mehr Glück. Würdest Du es versuchen?“, fragte er mich. „Ja, ich werde, wenn ich kann“, entgegnete ich bestimmt, woraufhin sie mir die Geschichte erzählten, in der ich besagtes Bild fand. Beide Seiten bekam ich zu hören, die des Betroffenen und die seiner Freunde. Letztendlich sagte ich nur: „Demjenigen, der Dir Gutes tut, Dankbarkeit zu erweisen, ist eine Selbstverständlichkeit. Sobald aber derjenige, der Dir Gutes tat, Dich damit in Knechtschaft nimmt, wandelt sich das vormals Gute in Frondienst, den niemand auf der Welt abverlangen darf.“ Das war alles. „Danke, Du hast mich gerettet“, sagte der Betroffene knapp, und eilte davon. Seine Freunde folgten ihm so dass ich nicht mehr um dieses Bild bitten konnte.

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