0807 Weg mit dem Binnen-I


Weg mit dem Binnen-I


Plötzlich war es aufgetaucht, plötzlich und aus heiterem Himmel. Niemand hatte ihm eine Überlebenschance gegeben, denn wozu sollte das denn nun wieder gut sein. Von Sprachverfälschung und –verschandelung war die Rede, mal ganz abgesehen davon, dass es eben gerade damals der schlechteste aller denkbaren Zeitpunkte war über so etwas nachzudenken, denn schließlich gab es viel größere und gravierendere Probleme. Diese größeren und gravierenderen Probleme gibt es, zugegebenermaßen, immer und der Zeitpunkt wäre immer der schlechteste aller denkbaren, und dennoch setzte es sich durch und blieb, bis heute. Als nun also die etwas oberflächliche Kritik keine Wirkung zeigte, wurde versucht dem Kern der Sache näher zu kommen und das Anliegen, das dahinter steckte, auszuhebeln.

„Wenn ein Seminar von 15 Studentinnen besucht wird, so wird von Studentinnen gesprochen. Wird jedoch eben jenes Seminar von 14 Studentinnen und einem Studenten besucht, so war der bisherige Sprachtenor 15 Studenten, d.h. die 14 Studentinnen wurden einfach ausgeblendet, denn wenn wir nur von 15 Studenten sprechen, so ist in unserem Kopf ein Bild von 15 männlichen Studenten“, war die Argumentation derer, die sich dafür stark machten.
„Nein, nein, ganz bestimmt nicht, denn unser Denken und Vorstellen ist so völlig vorurteilsfrei und offen, dass wir uns gar kein Bild machen, und wenn doch, dann eines, in dem männliche und weibliche Studenten gleichermaßen vertreten sind“, meinten die Gegner. Und das stimmt sicher. Niemand würde auf die Idee kommen sich unter einem Arzt einen Mann im langen, weißen Kittel vorzustellen, wo wir doch seit Bilderbuchtagen auf dieses Bild getrimmt wurden. Dennoch will ich der Argumentation der Gegner Folge leisten und das Binnen-I wieder aus dem Sprachgebrauch verdammen, um stattdessen durchgehend die weibliche Form zu benutzen. Wird nun jenes Seminar von 14 Studenten und einer Studentin besucht, so sprächen wir schlicht von 15 Studentinnen, denn einerseits ist die männliche Form selbstverständlich immer mitgenannt und in unserem Kopf gibt es keine Vorurteile. Der Bericht vom nächsten Ärztinnenkongress wird von 100 teilnehmenden Ärztinnen berichten, völlig egal wie viele Ärzte und Ärztinnen daran teilnahmen. Wenn wir nächstens nicht mit Sicherheit wissen ob ein Essay von einer Frau oder einem Mann verfasst wurde, so sprechen wir sicherheitshalber von der Autorin – denn auch darin steckt ja der Autor. So ist allen geholfen. Den Sprachpuristinnen, die nun endlich dieses scheußliche große I mitten im Wort wieder los sind und den Befürworterinnen, die in allem die weibliche Form finden. Bloß zu den Substantiven, zu denen es bisher noch nicht einmal eine weibliche Form gab, wird sich eine finden, so dass frau nicht mehr gezwungen sein wird von „dem Gast“ zu sprechen, wenn sie eine Frau eingeladen hat. Oder frau von sich behaupten muss, sie sei der größte „Fan“. Nur zum Priester müssen wir keine weibliche Form finden, denn die gibt es bereits. Und auch, wenn es gewöhnungsbedürftig scheint, wenn die Menschin lange genug im Sprachgebrauch steht, wird uns auch dieses Wort irgendwann leicht über die Lippen gehen. Dann leben die Frauen, auch in der Sprache, und die Männer – die sind ja sowieso immer mitgemeint.

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