2707 Du kannst mit mir über alles reden ...


Du kannst mit mir über alles reden ... 


Er saß auf der Couch und sah fern, wie jeden Abend. Sie werkte in der Küche, in der Waschküche, an ihrem Nähtisch oder wo auch immer. Er wusste es nicht so genau, und zugegebenermaßen interessierte es ihn auch nicht, wie jeden Abend. Dennoch war etwas anders als sonst, denn da hatte sie sich zumindest ab und zu zu ihm gesetzt um mit ihm zu plaudern, was ihm wohl auch nicht immer recht war, doch nun, hier, in diesem Jetzt, vermisste er ihre Unterbrechungen. Nicht ein einziges Wort hatte sie bisher zu ihm gesagt. Das war sehr ungewöhnlich, ja beinahe schon verdächtig. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas musste seiner Aufmerksamkeit entgangen sein. Irgendetwas verbarg sie vor ihm. Hatte er etwa auf ihren Geburtstag oder gar auf ihren Hochzeitstag vergessen? Rasch warf er einen Blick auf sein Handy. Nein, das war es nicht! Aber was war es dann?

„Schatz, möchtest Du Dich nicht kurz zu mir setzen?“, frage er unvermittelt, als sie wieder einmal vorbeilief. Sie folgte wohl seiner Aufforderung, doch eher widerwillig, was jedoch seiner Aufmerksamkeit entging.
„Was gibt es?“, fragte sie knapp.
„Ich möchte eigentlich nur nachfragen ob alles in Ordnung ist mit Dir. Du bist so komisch heute“, versuchte er zu erklären.
„Wieso bin ich komisch? Es ist doch alles wie immer, bloß mit dem Unterschied, dass Du heute Deine Ruhe hast. Du beschwerst Dich doch sonst auch immer darüber, dass ich Dich ständig volllabere. Also habe ich es heute einfach einmal lassen“, erwiderte sie gereizt.
„Das hält Dich aber sonst nie davon ab es trotzdem zu tun. Ich merke doch genau, dass mit Dir etwas nicht stimmt. Komm, sag es mir. Du weißt doch genau, Du kannst mit mir über alles reden“, sagte er bestimmt.
„Du meintest so richtig wirklich über alles, in aller Ruhe und wie zwei vernünftige, erwachsene Menschen?“, fragte sie nach, um sich zu vergewissern ob sie recht verstanden hatte, um ihn zu gemahnen ob er nicht doch noch einmal nachdenken wollte, was er da so achtlos dahingesagt hatte.
„Ja, natürlich. Du kennst mich doch“, entgegnete er im Brustton der Überzeugung.
„Nun gut, aber vergiss nicht, Du hast es so gewollt! Ich habe heute Vormittag zufällig eine gute Freundin getroffen, die ich seit unheimlich langer Zeit nicht mehr gesehen habe. Wir plauderten über alte Zeiten und erzählten wie unser Leben verlaufen ist, seit jenem Tag, an dem wir uns aus den Augen verloren hatten. Seitdem frage ich mich was wohl aus meinem Leben geworden wäre, wenn wir einander nicht über den Weg gelaufen wären“, erzählte sie unverblümt.
„Ach was? Ein einziges Gespräch mit irgendeiner so dahergelaufenen Tussi genügt also, dass Du Dich genötigt fühlst Dein ganzes Leben in Frage zu stellen. Nein, mehr noch, meines und Deines, denn mich betrifft das ja wohl irgendwie auch“, entrüstete er sich.
„Ich habe weder mein noch Dein Leben in Frage gestellt, sondern bloß ein Gedankenexperiment angestellt. Und die Gedanken sind doch wohl frei?“, entgegnete sie.
„Nein, sind sie nicht, nicht was das betrifft!“, sagte er allen Ernstes.
„Ich denke, es ist alles gesagt“, sagte sie und schickte sich an zu gehen.
„Freut mich, dass Du mich verstanden hast. Und vergiss nicht, Du kannst mit mir über alles reden“, sagte er voller Selbstzufriedenheit ob seines ausgeprägten Verständnisses.

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