Dankbarkeit – Nein, danke!
„Sei dankbar!“, hast Du zu mir gesagt, und
ich war dankbar.
„Wofür?“, fragte ich
„Dafür, dass Du gesund bist, nicht hungern
und nicht frieren musst“, erklärtest Du mir, und ich war dankbar, dafür, dass ich
gesund bin, nicht hungern und nicht frieren muss.
„Dafür, dass Du denken und arbeiten und
Dein Leben frei bestimmen kannst!“, fuhrst Du fort, und ich war dankbar dafür,
dass ich denken und arbeiten und mein Leben frei bestimmen kann.
„Dafür, dass Du so viel Schönes in Deinem
Leben erfahren durftest!“, fügtest Du noch hinzu, und da hörte ich auf damit
dankbar zu sein.
„Nein, ich will nicht mehr dankbar sein
für das Schöne, das ich in meinem Leben erfahren durfte, denn schließlich ist
es vorbei, und nicht jetzt. Ich will nicht dankbar sein, sondern mich ereifern,
warum das Schöne immer vorbei ist, kaum, dass ich meinte, ja, das ist es oder
das könnte es sein, das fühlte sich richtig an, war es schon wieder vorbei, und
ich will nicht dankbar sein, weil das heißt, dass ich mich des Rechtes beraube
Abschied zu nehmen, mir die Möglichkeit nehme einen Schlussstricht zu ziehen!“,
entgegnete ich.
„Aber es ist undankbar nicht dankbar zu
sein,“, sagtest Du bestimmt.
„Nein, es ist nicht undankbar undankbar zu
sein, ab und zu zumindest. Diese ewige Dankbarkeit, eine
Generationenverfolgung, eine Erbschuld. Ja, eine Erbschuld, die von Generation
zu Generation weitergepackt wird, und immer kommt ein bisschen mehr dazu, bis
Du darunter zusammenbrichst, oder im besten Fall nur so verdeckt bist, dass Du Dich selbst nicht mehr
findest, und als Sahnehäubchen ganz oben auf, kommt dann noch, pitsch, patsch,
und sei ja dankbar. Ja, wofür? Dafür, dass ich zur Welt kam und leben darf? Das
haben meine Eltern entschieden, ihne mich zu fragen. Dafür, dass ich in einem
Land mit politischer Sicherheit und sozialen Einrichtungen zur Welt kam? Das
war purer Zufall. Dafür, dass die Luft da ist, und das Wasser, und die
Pflanzen? Entschuldige, wenn das nicht wäre, hätte die Schöpfung ja gar nichts
an sich, und da bin ich doch auch einfach nur hineingeraten – und nun sitze ich
mitten drinnen. Dafür, dass mein Leben so ist wie es ist? Das hat sich so ergeben, und könnte auch ganz
anders sein. Also wofür bitte?“, gab ich zurück.
„Du stellst das alles so hin, als wäre das
alles nichts, als hätte alles keine Bedeutung. Warum bist Du nur so, so, so
schrecklich undankbar?“, fragtest Du, und es schien entsetzt.
„Warum soll ich mich ständig mit dieser
Dankbarkeit belasten. Ich bin dankbar, aber nicht indem ich es sage, seufzend,
wie das doch alles schön und rein und unverdorben ist, wie ein Bergsee oder
frisch gefallener Schnee. Ich lebe. Das müsste Dankbarkeit genug sein!“,
versuchte ich zu erklären.
„Klar lebst Du, aber das ist eben so und
nicht weiter beredenswert“, meintest Du achselzuckend.
„Ja, verstehst Du denn nicht? Ich wärme
mich an den Strahlen der Sonne und bade im sanften Licht des Mondes, lasse mich
ein auf meine Träume und bin mit meinen Hoffnungen auf Du und Du, versinke im
Moment des Glücks und lasse mich umarmen im Taumel der Lust, springe Hals über
Kopf in den bodenlosen Brunnen der Liebe und koste vom belebenden Nass. Ich
spüre, sehe, höre und atme. Das ist Leben – und das Einlassen darauf. Wofür
soll ich also dankbar sein?“, erklärte ich.
Und als Du beschämt, wohl auch ein wenig
irritiert zu Boden blicktest, nahm ich Dich in meinen Arm.
„Du musst nicht immer alles verstehen.
Lass Dich los und ein. Das genügt“, schloss ich, Dich und mich entlastend.
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