2208 Dankbarkeit - Nein, danke!


Dankbarkeit – Nein, danke!


„Sei dankbar!“, hast Du zu mir gesagt, und ich war dankbar.
„Wofür?“, fragte ich
„Dafür, dass Du gesund bist, nicht hungern und nicht frieren musst“, erklärtest Du mir, und ich war dankbar, dafür, dass ich gesund bin, nicht hungern und nicht frieren muss.
„Dafür, dass Du denken und arbeiten und Dein Leben frei bestimmen kannst!“, fuhrst Du fort, und ich war dankbar dafür, dass ich denken und arbeiten und mein Leben frei bestimmen kann.
„Dafür, dass Du so viel Schönes in Deinem Leben erfahren durftest!“, fügtest Du noch hinzu, und da hörte ich auf damit dankbar zu sein.
„Nein, ich will nicht mehr dankbar sein für das Schöne, das ich in meinem Leben erfahren durfte, denn schließlich ist es vorbei, und nicht jetzt. Ich will nicht dankbar sein, sondern mich ereifern, warum das Schöne immer vorbei ist, kaum, dass ich meinte, ja, das ist es oder das könnte es sein, das fühlte sich richtig an, war es schon wieder vorbei, und ich will nicht dankbar sein, weil das heißt, dass ich mich des Rechtes beraube Abschied zu nehmen, mir die Möglichkeit nehme einen Schlussstricht zu ziehen!“, entgegnete ich.
„Aber es ist undankbar nicht dankbar zu sein,“, sagtest Du bestimmt.
„Nein, es ist nicht undankbar undankbar zu sein, ab und zu zumindest. Diese ewige Dankbarkeit, eine Generationenverfolgung, eine Erbschuld. Ja, eine Erbschuld, die von Generation zu Generation weitergepackt wird, und immer kommt ein bisschen mehr dazu, bis Du darunter zusammenbrichst, oder im besten Fall nur so  verdeckt bist, dass Du Dich selbst nicht mehr findest, und als Sahnehäubchen ganz oben auf, kommt dann noch, pitsch, patsch, und sei ja dankbar. Ja, wofür? Dafür, dass ich zur Welt kam und leben darf? Das haben meine Eltern entschieden, ihne mich zu fragen. Dafür, dass ich in einem Land mit politischer Sicherheit und sozialen Einrichtungen zur Welt kam? Das war purer Zufall. Dafür, dass die Luft da ist, und das Wasser, und die Pflanzen? Entschuldige, wenn das nicht wäre, hätte die Schöpfung ja gar nichts an sich, und da bin ich doch auch einfach nur hineingeraten – und nun sitze ich mitten drinnen. Dafür, dass mein Leben so ist wie es ist?  Das hat sich so ergeben, und könnte auch ganz anders sein. Also wofür bitte?“, gab ich zurück.
„Du stellst das alles so hin, als wäre das alles nichts, als hätte alles keine Bedeutung. Warum bist Du nur so, so, so schrecklich undankbar?“, fragtest Du, und es schien entsetzt.
„Warum soll ich mich ständig mit dieser Dankbarkeit belasten. Ich bin dankbar, aber nicht indem ich es sage, seufzend, wie das doch alles schön und rein und unverdorben ist, wie ein Bergsee oder frisch gefallener Schnee. Ich lebe. Das müsste Dankbarkeit genug sein!“, versuchte ich zu erklären.
„Klar lebst Du, aber das ist eben so und nicht weiter beredenswert“, meintest Du achselzuckend.
„Ja, verstehst Du denn nicht? Ich wärme mich an den Strahlen der Sonne und bade im sanften Licht des Mondes, lasse mich ein auf meine Träume und bin mit meinen Hoffnungen auf Du und Du, versinke im Moment des Glücks und lasse mich umarmen im Taumel der Lust, springe Hals über Kopf in den bodenlosen Brunnen der Liebe und koste vom belebenden Nass. Ich spüre, sehe, höre und atme. Das ist Leben – und das Einlassen darauf. Wofür soll ich also dankbar sein?“, erklärte ich.
Und als Du beschämt, wohl auch ein wenig irritiert zu Boden blicktest, nahm ich Dich in meinen Arm.
„Du musst nicht immer alles verstehen. Lass Dich los und ein. Das genügt“, schloss ich, Dich und mich entlastend.

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