0609 Wenn der Fernseher flimmert ...
In der Früh stehst Du auf. Du bist müde, immer noch müde. Der Schlaf
brachte Dir nur wenig Erholung. „Wieder mal zu spät schlafen gegangen“, denkst
Du Dir, und fluchst, dass Dir das immer und immer wieder passiert. Du denkst an
den Tag, der vor Dir liegt. Wieder im Büro, den ganzen Tag im Büro. Deine
Familie ist um Dich, aber nicht bei Dir. Frühstück ist zu machen, und
Jausenbrote. Die Kinder müssen zur Schule. Niemand interessiert sich für Deinen
Tag. Du hast nicht die Kraft Dich in die Vorkommnisse um Dich einzumischen.
Abholzeiten werden geregelt. Heute ist Training. Oder doch Musikschule? Du
kommst durcheinander. Macht nichts, Deine Frau hat es fest im Griff und lässt
nicht locker. Du würdest das gar nicht wissen wollen, meint sie. Wozu auch? Sie
erledigt das alles, kutschiert die Kinder von hier nach da, fügt diverse
Verabredungen in den sowieso schon überfüllten Terminkalender ein, bespricht
die Anforderungen, die die Schule stellt, lernt mit ihnen, erteilt ihnen
Nachhilfe, wenn notwendig und sorgt sich nebenbei um Arzt- und Friseurtermine.
Wie überflüssig Du doch bist, mitten in diesem hin und her an knappen
Bemerkungen. Du weißt zumeist nicht einmal worum es überhaupt geht, da Dir die
nötigen Vorinformationen fehlen. Es ist müßig zu fragen. „Wir werden Dir alles
erzählen, wenn Du Zeit hast, Papa“, meinen die Kinder, und scheinen so gar kein
Interesse zu haben es einzulösen, so aufdringlich klingt der unausgesprochene
Nachsatz mit, „Du hast ja sowieso nie Zeit“ Ja, das stimmt, Du hast nie Zeit.
Dabei machst Du das, was Du machst, doch nur für sie, dass sie ein
unbeschwertes, sorgenfreies Leben führen können, dass sie allen ihren Vergnügen
nachgehen können und nebenbei eine tolle Ausbildung genießen, dass Deine Frau
sich neu einkleiden kann, wenn sie möchte und mit den Freundinnen mithält. Für
sie nimmst Du all die Sorgen und Arbeit auf Dich, und dann ist es beinahe, als
würdest Du bloß noch im Weg sein, da beim Frühstück, inmitten der Morgenhektik,
und erst recht abends, wenn Du nach Hause kommst. Du hast einen ganzen Tag
versäumt mit ihnen. Du weißt nicht was los war. „Später Papa, wir sagen es Dir
schon, aber jetzt müssen wir noch so vieles machen. Warum setzt Du Dich nicht
einfach vor den Fernseher und rastest Dich aus?“, sagen sie zu Dir, und wollen
eigentlich sagen, dass sie jetzt nicht mit Dir reden wollen. Du lässt Dich in
die Ecke drängen. Der Tag war hart, aber keinen interessiert es. Es geht
vorbei. Du liegst auf der Couch, während Schultaschen gepackt und die
Vorkehrungen fürs Schlafen gehen getroffen werden. Noch ein wenig dürfen sie
aufbleiben, die lieben Kleinen, während Dir schon die Augen zufallen. Deine
Frau läuft immer wieder an Dir vorbei, und beachtet Dich nicht. „Vielleicht
ginge es ihnen ja besser ohne mich? Vielleicht würde es ihnen gefallen, wenn
ich nur monatlich genug überweise, aber ansonsten fern bleibe?“, fragst Du Dich
unvermittelt. Du denkst es aber nur und wagst es nicht auszusprechen. Zu groß
ist Deine Angst, dass Du recht haben könntest, und der Fernseher flimmert,
während Du in einem leichten Halbschlaf dahindämmerst, und als Du erwachst,
mitten in der Nacht, irgendwann, immer noch auf der Couch, mit dem steifen
Nacken, ist alles ruhig um Dich, nur der Fernseher flimmert immer noch.
1 Kommentar:
Thank you! I'm glad that you enjoyed it!
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