2109 Fährmann (3)


Fährmann (3)


Fährmann, setz mich über
Stoß Deinen Stab durch das schwarze Wasser in die warme Erde.
Ich gehe
Ich atme
Ich lebe
Fährmann, setz mich über
Führe den Stab mit Deinen starken Armen und treibe den Nachen voran.
Ich stehe
Ich sehe
Ich bin
Fährmann, setz mich über
Bring mich an den Ort, von dem sich meine Sehnsucht erfüllt
Ich laufe
Ich sehne
Ich werde
Fährmann, setz mich über

Ich lege an, bedächtig, verrichte meine Arbeit so wie sie sein soll, nicht abgetrieben zu werden von den Unvorhersehbarkeiten des nassen Elements, dass Du den Nachen sicher betreten kannst, sicher und trocken. Was nützt die Ungeduld? Was nützt die Eile? So viele habe ich übergesetzt in all der Zeit. Ich habe sie beobachtet, ihre Ungeduld, ihre Unstetigkeit. Komm setz mich über – Nein, ich will doch nicht – Bring mich wieder zurück. Hier, auf dem Floss, hier kannst Du nicht aus, kannst Dich nicht bewegen ohne uns der Gefahr auszusetzen, dass wir schwanken, dass wir kippen, dass wir in den Wellen verloren gehen, dass wir nirgendwo mehr anlegen, dass wir abgetrieben werden. Handle mit Bedacht! Steh still! Ich weiß, es fällt Dir schwer. Dort, am anderen Ufer, wo Du erwartet wirst, dort meinst Du, wird Deine Seele Frieden finden, meinst Du, endlich stillhalten und bleiben zu können. Doch kannst Du es wirklich? Nimmst Du die Unrast und die Eile nicht mit in diese Begegnung, verschonst auch sie nicht vor dem Treiben in Dir. Nichts anderes hast Du gelernt. Nichts anderes hast Du gesehen. Doch jetzt, jetzt halte still. Kannst Du es? Kannst Du es, ohne zu ermüden? Es ist gut, dass ich Dich übersetze, gut, dass Du unbeweglich bleiben musst. Siehst Du, welche Mühe es Dir doch bereitet! Unentwegt spähst Du aus, wie Du es immer tust, nach dem Ende der Reise, nach dem nächsten, was Du tun wirst, nach dem Morgen. Übe Dich in Geduld und im Frieden. Lass es nicht zu, dass das Vorwärtstreiben Dich ganz und gar in Anspruch nimmt.

Du gehst, und wenn Du gehst, dann erkennst Du, gar noch die kleinen Blumen am Wegesrand, die keck und bunt ihre kleinen Köpfchen durch das Gras herausstrecken.
Doch es geht Dir zu langsam.
Du willst den Weg nicht, Du willst das Ankommen.
Du gehst schneller, dann erkennst Du nur mehr die Wiese als ein einziges Grün, doch ja, auch noch die Bäume.
Doch es geht Dir zu langsam.
Du willst den Weg nicht, Du willst das Ankommen.
Du beginnst zu laufen, dann erkennst Du nur mehr die Landschaft in ihrer Gesamtheit, und den Himmel über Dir, doch die kleinen, entdeckenswerten Dinge, die Dich umgeben, die siehst Du nicht mehr.
Doch es geht Dir zu langsam.
Du willst den Weg nicht, Du willst das Ankommen.
Du bedienst Dich eines motorisierten Vehikels, und die Landschaft fliegt nur noch so an Dir vorbei. Nichts mehr erkennst Du, siehst nur noch den Art, an dem Du ankommen möchtest.
Doch wer den Weg nicht geht, wer den Hingang, das Werden nicht lebt und sich darauf einlässt, der kann auch nicht ankommen.

Fass Dich in Geduld, halte still und lass Dich ein auf einen Weg, der eine Ankunft kennt.

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