Der Hut!
"Was ist denn das auf Deinem Kopf? Ich habe Dich ja
beinahe nicht erkannt", sage ich verwundert, als Du Dich in dieser Nacht
zu mir setzt.
"Das ist
ein Hut, sein Hut", antwortest Du langsam.
"Und
warum trägst Du ihn und nicht er?", frage ich.
"Weil er
ihn dagelassen hat als er ging, und jetzt trage ich ihn", entgegnest Du.
"Trotzdem?",
füge ich hinzu.
"Trotzdem!",
sagst Du überzeugt, "Ja, trotz allem."
"Es war
ja nicht so, dass ich es nicht gewusst hätte. Von Anfang an hatte er mich
nie im Unklaren darüber gelassen, dass er nicht der Mensch ist, der bleibt, dass er
irgendwann gehen würde", erzählst Du, und es klingt, als würde es schon lange auf Deiner Seele brennen, als hättest Du Dir all diese Worte schon
lange zurechtgelegt, "Eines Tages war er in mein Leben geschneit, Schnee
im Mai, war geblieben, niemand weiß warum, er am aller wenigsten und ich war so glücklich, so glücklich, dass ich nicht weiter
gefragt habe. Natürlich, insgeheim hoffte ich, dass es nie passieren würde, oder zumindest nicht heute.
Obwohl ich es besser wusste, hoffte, trotz allem. Jeden Abend, wenn ich nach
kam, galt mein erster Blick dem kleinen Kästchen im Vorzimmer, denn dort
legte er seinen Hut ab, den, den ich jetzt trage. Er war sein Markenzeichen.
Niemals ging er ohne ihn irgendwo hin, und wenn er da lag, der Hut auf dem Kästchen im Vorzimmer, dann atmete
ich auf. Er war noch da. Dieser eine Tag war uns noch geschenkt worden. 'Du
bist das Beste in meinem Leben', sagte er dann zu mir, immer, wenn wir uns
sahen. 'Warum?', fragte ich ihn dann, 'Ich bin doch langweilig.' Und er meinte,
dass es genau das wäre, die festen Strukturen in meinem Leben, dass ich nichts dem Zufall überließe, dass ich versuchte alle
Eventualitäten vorwegzunehmen, dass es eine klare Ordnung gäbe, also alles, was er nicht könne, und darin fühle er sich aufgehoben. Und wenn
ich dann fragte warum er denn trotzdem wieder gehen müsse, dann antwortete er, er sei ein
Flügelmensch, und wenn er seine Flügel allzu lange nicht benutze, dann
würden sie erlahmen. Und er hatte
recht. Natürlich sollte der Mensch Wurzeln und Flügeln haben, und ein wenig haben wir
auch alle von beidem, doch - wie ich nun weiß - sehr selten ausgewogen. Bei
manchen bekommen die Wurzeln die Oberhand und bei anderen die Flügel. Ich bin ein Wurzelmensch. Wo
ich hingesetzt werde, dort bleibe ich, kralle mich fest, weil ich Angst habe
den Halt zu verlieren, mich zu verlieren. Nur bei ihm gelang es mir mich
loszulassen, ab und zu, angstfrei. Er ist ein Flügelmensch. Seine Angst ist sich so
sehr mit der Erde zu verbinden, dass er nicht mehr loskommt, dass er
bewegungsunfähig wird. Bei mir konnte er ausruhen, zumindest eine Zeit lang,
angstfrei. Eines Tages also kam ich nach Hause, der Hut lag dort, wo er immer
lag, aber er war nicht mehr da. Er war weg, und sein Hut blieb. Seit dem denke
ich darüber nach, ob es Grausamkeit war, dass er ihn mir da ließ, als das einzige worauf ich mich
verlassen zu können meinte oder wollte er mir sagen, dass er wiederkäme."
"Wofür hast Du Dich letztlich
entschieden?", frage ich.
"Ich
habe mich nicht entschieden. An manchen Tagen, wenn ich mich einfach nur
verlassen fühle, dann meine ich, er ist einfach nur grausam. An anderen Tagen, an
den guten, meine ich, es soll ein Zeichen sein, dass er trotz allem nicht ganz
von mir weggegangen ist, und er ist es auch nicht, denn er hat mir so viel
gegeben, so vieles eröffnet. Er ist das Beste, was mir je passierte.", antwortest Du
versonnen.
"Trotz
allem?", frage ich.
"Ja,
trotz allem! Und ich trage seinen Hut!", entgegnest Du, und zum ersten Mal
lächelst Du in dieser Nacht.
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