2809 Der Hut!


Der Hut!


"Was ist denn das auf Deinem Kopf? Ich habe Dich ja beinahe nicht erkannt", sage ich verwundert, als Du Dich in dieser Nacht zu mir setzt.
"Das ist ein Hut, sein Hut", antwortest Du langsam.
"Und warum trägst Du ihn und nicht er?", frage ich.
"Weil er ihn dagelassen hat als er ging, und jetzt trage ich ihn", entgegnest Du.
"Trotzdem?", füge ich hinzu.
"Trotzdem!", sagst Du überzeugt, "Ja, trotz allem."
"Es war ja nicht so, dass ich es nicht gewusst hätte. Von Anfang an hatte er mich nie im Unklaren darüber gelassen, dass er nicht der Mensch ist, der bleibt, dass er irgendwann gehen würde", erzählst Du, und es klingt, als würde es schon lange auf Deiner Seele brennen, als hättest Du Dir all diese Worte schon lange zurechtgelegt, "Eines Tages war er in mein Leben geschneit, Schnee im Mai, war geblieben, niemand weiß warum, er am aller wenigsten und ich war so glücklich, so glücklich, dass ich nicht weiter gefragt habe. Natürlich, insgeheim hoffte ich, dass es nie passieren würde, oder zumindest nicht heute. Obwohl ich es besser wusste, hoffte, trotz allem. Jeden Abend, wenn ich nach kam, galt mein erster Blick dem kleinen Kästchen im Vorzimmer, denn dort legte er seinen Hut ab, den, den ich jetzt trage. Er war sein Markenzeichen. Niemals ging er ohne ihn irgendwo hin, und wenn er da lag, der Hut auf dem Kästchen im Vorzimmer, dann atmete ich auf. Er war noch da. Dieser eine Tag war uns noch geschenkt worden. 'Du bist das Beste in meinem Leben', sagte er dann zu mir, immer, wenn wir uns sahen. 'Warum?', fragte ich ihn dann, 'Ich bin doch langweilig.' Und er meinte, dass es genau das wäre, die festen Strukturen in meinem Leben, dass ich nichts dem Zufall überließe, dass ich versuchte alle Eventualitäten vorwegzunehmen, dass es eine klare Ordnung gäbe, also alles, was er nicht könne, und darin fühle er sich aufgehoben. Und wenn ich dann fragte warum er denn trotzdem wieder gehen müsse, dann antwortete er, er sei ein Flügelmensch, und wenn er seine Flügel allzu lange nicht benutze, dann würden sie erlahmen. Und er hatte recht. Natürlich sollte der Mensch Wurzeln und Flügeln haben, und ein wenig haben wir auch alle von beidem, doch - wie ich nun weiß - sehr selten ausgewogen. Bei manchen bekommen die Wurzeln die Oberhand und bei anderen die Flügel. Ich bin ein Wurzelmensch. Wo ich hingesetzt werde, dort bleibe ich, kralle mich fest, weil ich Angst habe den Halt zu verlieren, mich zu verlieren. Nur bei ihm gelang es mir mich loszulassen, ab und zu, angstfrei. Er ist ein Flügelmensch. Seine Angst ist sich so sehr mit der Erde zu verbinden, dass er nicht mehr loskommt, dass er bewegungsunfähig wird. Bei mir konnte er ausruhen, zumindest eine Zeit lang, angstfrei. Eines Tages also kam ich nach Hause, der Hut lag dort, wo er immer lag, aber er war nicht mehr da. Er war weg, und sein Hut blieb. Seit dem denke ich darüber nach, ob es Grausamkeit war, dass er ihn mir da ließ, als das einzige worauf ich mich verlassen zu können meinte oder wollte er mir sagen, dass er wiederkäme."
"Wofür hast Du Dich letztlich entschieden?", frage ich.
"Ich habe mich nicht entschieden. An manchen Tagen, wenn ich mich einfach nur verlassen fühle, dann meine ich, er ist einfach nur grausam. An anderen Tagen, an den guten, meine ich, es soll ein Zeichen sein, dass er trotz allem nicht ganz von mir weggegangen ist, und er ist es auch nicht, denn er hat mir so viel gegeben, so vieles eröffnet. Er ist das Beste, was mir je passierte.", antwortest Du versonnen.
"Trotz allem?", frage ich.
"Ja, trotz allem! Und ich trage seinen Hut!", entgegnest Du, und zum ersten Mal lächelst Du in dieser Nacht.

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