Darf ich um diesen Tanz
bitten?
Die Knie
angezogen, das Gesicht versteckt, kann ich doch deutlich erkennen, dass sie
weinte, trotz der Dunkelheit, denn der Mond spannt, um Diskretion bemüht, einen Wolkenparavant auf. Ihr
schmaler, zarter Körper bebt. Vorsichtig lege ich meine Hand auf ihre Schulter. Sie läßt mich gewähren. Das Beben verebbt und langsam
hebt sie den Kopf, um ihn doch gleich wieder zu verbergen.
"Ich
will nicht, dass Du mich so siehst", sagt sie leise.
"Wie
willst Du denn, dass ich Dich sehe?", entgegne ich.
"Stark
und groß. Eben wie eine, die alles im Griff hat und alles zu managen vermag. Wie
alle anderen eben auch", sagt sie trotzig.
"Und Du
meinst, dass alle anderen groß und stark sind, dass alle anderen alles zu handeln vermögen?", frage ich.
"Ja, natürlich. Überall siehst Du es. Überall kannst Du es lesen. Sogar in
der Werbung siehst Du es. Alle sind groß und stark! Warum ich nicht?",
tönt es aus ihr, klar und deutlich,
und doch so verworren.
"Es
interessiert mich nicht was über irgendjemanden irgendwo geschrieben wird, und schon gar nicht was
die Werbung uns vorgaukelt. Mich interessieren die Menschen, die zu mir kommen,
hier auf meinen Steg, die mir ihre unverwechselbare Geschichte erzählen. Und im Grunde gibt es nur
eine Vorgabe wie Du zu sein hast: So wie Du bist!", antworte ich überzeugt.
"Aber
nur ich heul Dir hier was vor", meint sie überzeugt.
"Jede
geht anders um und drückt sich anders aus, aber jede hat ihre eigenen Sorgen und Ängste, Probleme und
Verlorenheit", sage ich ruhig.
"Du
willst mich ja nur trösten!", entgegnet sie rasch.
"Nein,
es stimmt. Um Dich wieder aufrichten zu können, musst Du zuerst den Ballast
loswerden, den Du mit Dir herumschleppst", gebe ich mich zu verstehen.
"Und wie
soll das gehen?", fragt sie, misstrauisch bleibend, aber doch
interessiert.
"Hörst Du die Melodie der
Nacht?", frage ich, und merke wie sie ruhig wird, ganz, ganz ruhig um die
Nacht zu verstehen.
"Ja, ich
höre sie", sagt sie, und ein
kleines Lächeln umspielt ihre Lippen.
"Darf
ich um diesen Tanz bitten?", frage ich sie, während der Mond den Wolkenparavant
auflöst, und es ist, als würde er den Vorhang heben.
"Gerne!",
antwortet sie und nimmt die Hand, die ich ihr reiche.
Meinem Arm
anvertraut, beginnen wir uns zu bewegen, zur Melodie der Nacht, zunächst langsam, zaghaft, wie
beschwert, doch mit jedem Schritt fällt ein kleines Stück der Schwere von ihr ab. Ich spüre wie sie leichter wird, freier
wird. Je leichter und freier sie wird, umso leichter und freier werden auch
ihre Bewegungen, umso freier und leichter überantwortet sie sich dem
Gemeinsam. Ich führe nicht, und sie auch nicht. Wir lassen uns führen, von der Melodie und dem
Verstehen im Gemeinsam, wortlosem Verstehen. Sanfte, gleitende, harmonische
Bewegungen, in denen wir uns verlieren, so wie wir uns in uns verlieren, und
ich sehe, wie ihr Lachen wiederkommt und der Glanz in ihren Augen.
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