Die Schöpfung Gottes
„Ich bin der Erste hier am Tisch gewesen. Da waren die Menschen erst
relativ kurz auf der Erde, und eine der ersten Dinge, die sie sich ausdachten,
war ein Gott. Ich bin also sozusagen eine Ur-Göttin“, begann die einzige Frau in dieser
Pokerrunde zu erzählen, „Die Griechen gaben mir den Namen Gaia, die Erde. Bei den Römern sollte ich Tellus heißen. Aber wie auch immer. Ich war
auf jeden Fall die Erste an diesem Tisch, aber ich blieb nicht lange alleine.
Die Menschen meinten aus jeder Naturgewalt, aus allem was sie sich nicht erklären konnten, gleich eine Gottheit
machen zu müssen, anstatt, dass sie ein wenig ihr Gehirn einschalteten und Erklärungen suchten, aber andererseits
waren sie ja erst kurz auf der Erde und es sollte sehr, sehr lange dauern bis
sie vieles durchschauten. So wimmelte es bald von den verschiedensten
Gottheiten. Immer neue Tische mussten aufgestellt werden. Aber mit den
Erkenntnissen, die die Menschen machten, verschwanden auch sehr viele wieder.
Sie waren eines Tages einfach nicht mehr da, wie ein Gedanke, der ad acta
gelegt wird, wenn er nicht mehr gedacht wird. Dennoch kamen auch immer wieder
Neue hinzu. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Eine interessante Sache, wirklich sehr
interessant, und wer weiß, vielleicht wird auch dieser Tisch noch verschwinden.“
„Das glaube ich nicht, denn die Menschen werden immer an Gott glauben!“, ereiferte sich Jesus.
„Natürlich musst Du das sagen. Du hast es ihnen auch intensiv genug
gepredigt, aber die Menschen vergessen leicht. Immerhin bist Du jetzt schon
2.000 Jahre hier. Schau nur was aus Deiner Lehre geworden ist und aus denen,
die Deine Botschaft übernommen haben“, sagte Gott ruhig.
„Aber es gibt immer noch genug, die guten Willens sind und die Lehre rein
bewahren!“, beharrte Jesus.
„Sicher gibt es sie, sonst gäbe es Dich ja nicht mehr“, bestätigte Gott, „Aber es muss nicht so bleiben.“
„Worum spielt ihr hier überhaupt?“, fragte Jesus plötzlich, als er sich eine der Figuren, die vor ihm am Tisch standen,
genauer ansah.
„Um das Leben oder besser um dessen Anfang und Ende“, erwiderte Gaia lapidar.
„Was soll das heißen?“, fragte Jesus irritiert.
„Hör mal, jetzt tu doch nicht so naiv. Der Mensch ist überzeugt davon, dass wir es in der
Hand haben Leben zu schenken und es wieder zu nehmen. Das ist auch der Grund
warum wir hier am Tisch sitzen und Poker spielen. Wenn das der Mensch glaubt,
dann müssen wir es auch tun“, antwortete Gott lapidar.
„Aber das geht doch nicht! Das ist doch völlig willkürlich! Ich habe den Menschen
gepredigt Gott ist gerecht und allwissend und alles mögliche andere auch. Was hat denn
dieses Menschenleben für einen Sinn?“, entsetzte sich Jesus.
„Der Mensch ist schon ein komisches Wesen. Erst erschafft er etwas nach
seinem Bilde, und dann verlangt er von seiner Schöpfung, das sie all das ist, was er
nicht ist. Der Mensch macht es sich schon sehr leicht. Wenn er einen Sinn will,
dann soll er ihn sich geben. Wenn er Gerechtigkeit will, dann soll er gerecht
sein. Und wenn der Liebe will, dann soll er lieben“, meinte Gaia, die gerade einen
Flash auflegte und den Einsatz gewann. Eine neue Runde begann und die
Projektion verblasste vor meinen Augen.
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