Tod
Langsam
fasste ich mich wieder, und doch war es bedrückend zu erfahren, dass niemand
anderer verantwortlich war für den Menschen und sein Tun als er selbst. Womit könnte er hadern? Wem könnte er die Schuld zuweisen? Er
blieb allein damit, endgültig gänzlich allein, verloren und verlassen.
„So ist es nun mal darum bestellt. Ob es Dir nun gefällt oder nicht, es ist höchst an der Zeit die kindlichen
Vorstellungen hinter sich zu lassen und die Realität zu sehen“, riss mich Tod aus meinen
Gedanken.
„Aber wie viele würden alleine an dieser Realität zerbrechen“, entgegnete ich müde.
„Denen lasse ich diese Illusion auch. Eingeweiht werden nur diejenigen,
die es auch verkraften“, versicherte mir Tod.
„Dort, an diesem Pokertisch wird also über unser Schicksal entschieden“, merkte ich nachdenklich an.
„Ja, denn der Mensch hat es so gewollt, wie Du hörtest“, bestätigte mir Tod.
„Aber warum gibt es dann immer wieder so etwas, was wir als Wunder
bezeichnen, wo Menschen weiterleben, die eigentlich schon tot sein sollten?“, fragte ich irritiert und hoffnungsvoll.
„Auch daran sind die Menschen selber schuld, und wohl auch ein wenig das
Leben. Einerseits haben manche Menschen solch einen starken Willen, der das große Pokerspiel zu beeinflussen
vermag, und andererseits bringt es das Leben immer wieder fertig mich
aufzuhalten“, meinte Tod sinnierend.
„Das Leben? Ist das nicht einfach Deine Kehrseite?“, fragte ich aufhorchend.
„Nein, sie ist meine Geliebte, und sie schafft es immer wieder mir da
einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die mit ihren Verführungs- und Überredungskünsten. Eigentlich beeindruckend.
Ansonsten bin ich Einsprüchen gegenüber taub, nur bei ihr schaffe ich es nicht hart zu bleiben. Und Du
kannst Dir nicht vorstellen, was die Menschen alles machen, nur um ihr kleines
Leben zu behalten, als wenn es etwas ändern würde, wenn sie ein paar Jahre länger oder kürzer auf der Welt wären“, sagte Tod lapidar.
„Es macht sehr wohl einen Unterschied. So viel Schönes können sie in diesen Jahren noch
erleben“, empörte ich mich.
„Und wenn sie es nicht erlebten, wäre es dann auch einerlei“, merkte Tod an.
„Aber all die anderen, denen sie wichtig sind, für die macht es schon einen
Unterschied ob sie länger oder kürzer leben. Kinder, die ihre Eltern verlieren vor allem“, widersprach ich.
„Aber es wird immer zu früh sein. Wenn Du danach gingest, müssten wir die Menschen wirklich
ewig leben lassen. Immer wird jemand jammern, dass sie jemanden nicht verlieren
möchten. Dass das nicht geht, das
siehst Du doch wohl ein“, entgegnete Tod.
„Wahrscheinlich hast Du recht, aber es bleibt dennoch ein Unterschied. Es
bleibt ungerecht“, versicherte ich.
„Aber was wäre gerecht? Wer vermag das zu entscheiden? Aber warum sprichst Du nicht
mit denen, die mit mir gehen, hier in dieser Prozession“, schlug Tod mir vor, und ich nahm
ihr Angebot an.
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