2610 Bloß eine kleine Unachtsamkeit


Bloß eine kleine Unachtsamkeit


Siehst Du, ich atme Dich. Wenn ich hier liege, hier neben Dir, einfach nur liege, nackte Haut an nackter Haut, wenn Dein Haar mich kitzelt, wenn ich im Versinken versinke, mich in die Verschwendung verschwende. Es ist so leicht, habe ich immer gedacht, so leicht, einfach nur zu sein, so wie ich es will, wie ich es wollte, den Moment genießen, den mit Dir. Es ist so leicht, habe ich mir immer gedacht, einfach nur da zu sein, in Dir und für Dich, wenn es möglich ist, im Je-Jetzt. Doch es ist ganz und gar nicht einfach. Immer wieder zieht mich etwas ab, ein Gedanke, der sich verirrt hat und gar nicht hierher gehört, der mich nur ablenken möchte von Dir, der mich zur Untreue verführt. Ich will ihm nicht folgen, doch wie ein kleiner, flinker Teufel hüpft er über meine Schulter, kitzelt mich am Ohr. Es beginnt mit dieser kleinen Unachtsamkeit. Immer beginnt es mit einer kleinen Unachtsamkeit, und doch bin ich zu lasch, zu träge sie als Warnung anzunehmen. Eigentlich sollte ich mich Dir jetzt zuwenden, doch ich bleibe, als wenn es genügen würde Deine Haut an meiner zu spüren, zu spüren wie Dein Haar mich kitzelt. Es genügt nicht. Noch niemals hat es genügt. Aber ich nehme es immer noch nicht ernst. Beschwöre mich, achte, hab acht, auch auf Dich, auf Dich, doch es hat keinen Sinn. Ich bin nicht bereit, und schon längst wieder vergessen, bloß vergessen. Das sagen sie dann alle. Ein Messer, das liegenblieb und Dich traf, mitten ins Herz. Das Wasser, das ausrann und nicht weggewischt wurde, wo Du ausglittest und Dir den Kopf entzweischlugst. Die Abwendung, die Dich ereilte und Dein Herz entzweiriss. Alles doch nur kleine ungewollte Unachtsamkeiten. Nein, es gibt keine Ausreden mehr. Es gibt keine Entschuldigung mehr. Wenn doch bloß mein Kopf endlich ruhig wäre, wenn die Stimmen daraus verschwinden, die ablenkenden. Sie schmeicheln mir. Schöne Worte flüstern sie mir zu. Umschwärmen mich und surren wie die Bienen. Und wenn ich zuschlage, wenn ich versuche sie zu verscheuchen, bloß das, haben sie schon gewonnen, und es ist weiters nichts, weiters nichts. Ich will versinken in der Dunkelheit, mit geschlossenen Augen, versinken in der Namenlosigkeit. Nenne mich nicht mehr. Gib mir keinen Namen mehr, außer dem einen, der alle Namen in sich trägt und doch nur mich meinen kann, immer nur, das eine, Du. Nenne mich und heile mich von mir hin zu Dir. Verbinde meine Wunden und meine noch nicht verheilten Narben mit Deiner Berührung. Heile mich mit Deinem Kuss, der das nackte Fleisch veredelt. Verarzte mich mit Deiner Umarmung, in die ich sinke, mit aller Kraft, mit aller Eindeutigkeit, bis zur Besinnungslosigkeit, bis zur letzten Stufe der Verlorenheit. Versöhne mich mit dem Schicksal, wenn Du mich durchdringst, jeden Millimeter meines Körpers eroberst und verinnerlichst. Dann kann es nicht mehr passieren, dann bin ich gerettet vor dieser kleinen Unachtsamkeit. Nur Du kannst das. Fallende Messer, Tückische Wasserlacken. Herzzerreissende Abwendung. Nur Du kannst mich retten. Noch atme ich Dich. Wenn ich hier liege, hier neben Dir, einfach nur liege, nackte Haut an nackter Haut, wenn Dein Haar mich kitzelt
Langsam senkt sich ein kleines Lindenblatt vom Baum sacht schaukelnd, schiebt sich zwischen uns.
Bloß eine kleine Unachtsamkeit.

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