Sein-lassen
"Aber das kann doch nicht sein, dass Dir das genügt?", fragte sie kopfschüttelnd, nachdem sie eine Nacht bei mir verbracht hatte.
"Was soll mir nicht genug sein?", fragte ich meinerseits.
"Na da einfach zu sitzen, vielleicht ab und zu ein wenig herumzugehen, Besuch zu bekommen, Geschichten zu erzählen und Geschichten zu hören, das meine ich, das kann doch nicht alles sein!", entgegnete sie.
"Und mich am Ringelspiel drehen", fügte ich hinzu.
"Ok, ja, Dein Ringelspiel, ein Kinderspielzeug!", gab sie zu.
"Und das Schwimmen im See", sagte ich weiters.
"Ja, und das Schwimmen im See. Und sonst? Das kann doch nicht alles sein!", meinte sie ungeduldig.
"Du darfst nicht vergessen, meine Suche nach der Blauen Blume", sagte ich leise.
"Natürlich, diese Sache mit der Blauen Blume, ein Hirngespinst! Du jagst einem Hirngespinst nach!", sagte sie ungeduldig.
"Es ist kein Hirngespinst. Ich habe sie wirklich gesehen, und was meine Besuche betrifft, so sind es genau meine Geschichten, die weiterhelfen, egal ob ich sie erzähle oder ob ich sie mir erzählen lasse. Die Menschen tauchen ein in die Begegnung mit mir und gehen verändert nach Hause. Das ist meine Aufgabe", versuchte ich zu erklären, aber ich wusste nicht ob sie mich verstand, ja, ich wusste noch nicht einmal ob sie mir wirklich zuhörte.
"Ja, ja, das klingt alles recht gut, aber das kann nicht alles sein. Dein See, Deine Burg, das ist alles recht schön, aber warum vermietest Du nicht Zimmer, bietest den Menschen einen Platz sich auszuruhen, gegen entsprechendes Entgelt. Weißt Du wie viel die Leute dafür zu zahlen bereit sind? Dafür, dass sie nichts dürfen als eben nichts? Nein, noch besser. Du baust hier Häuschen. Kontemplation und Mystik, so wollen wir es nennen. Morgen hole ich mir einen Architekten und wir legen los", sagte sie voller Tatendrang.
"Du meinst, dass Du hier völlig umbauen möchtest, dass Menschen hierher kommen und dafür zahlen sollen?", fragte ich, nur um sicher zu sein ob ich sie richtig verstanden hatte.
"Genau das, und Du, Du kannst Dich die ganze Zeit über verwirklichen", sagte sie voller Begeisterung.
"Nein, das tun wir nicht. Ich will offen sein für die Begegnung, ohne Hintergedanken, will in meiner Welt bleiben, will, dass sie so bleibt wie sie ist. Vielleicht ist es Dir nicht genug, zu begegnen und einfach da zu sein, aber mir, mir ist es genug. Ich denke, es ist Zeit, dass Du gehst, dorthin wo Du Deinen Weg verwirklichen kannst, aber hier ist dieser Ort nicht. Ich lasse mich von Dir nicht zu etwas machen was ich nicht bin, lasse meine Welt nicht zu dem machen, was sie nicht sein soll. Du tust mir nicht gut. Komm wieder, wenn Du so weit bist, wenn Du sehen kannst was ist, und nicht was Deiner Meinung nach sein sollte, wenn Du die Dinge und Menschen in ihrem Eigen-Sein anerkennst und nicht etwas aus ihnen machen möchtest, was Du Dir vorstellst", entgegnete ich bestimmt.
"Du trittst Dein Glück mit Füßen!", sagte ich trotzig.
"Du hast noch viel zu lernen. Geh hinaus und komm wieder, wenn Du gelebt hast", riet ich ihr.
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