Schreiben ist eine Sucht
Schreiben ist eine Sucht. Du kannst nicht einfach
aufhören, wie es Dir gefällt. Es ist wie ein Virus, den Du Dir einmal
eingefangen hast, und der Dich nie wieder loslässt. Manchmal bricht er aus, wie
ein Vulkan, feuerst Du die Gedanken aus Dir heraus, und Du hast nichts weiter
zu tun als sie einzufangen bevor sie verglühen. Manchmal brodelt es nur leicht
vor sich hin, wie eine leichte Verkühlung, bei der Du weder richtig krank noch
richtig gesund bist. Eruptiv oder schleichend, aber auf jeden Fall ein
entrückend. Das Leben läuft neben Dir wie es eben läuft, während Du in Deiner
Geschichte bist. Du findest das Bild. Vielleicht ist es zunächst nur ein
Ausschnitt, eine Tür, ein Fenster, eine Wolke, eine Blume, oder gar nur ein
Farbklecks, in schlichtem Rot, Schwarz oder Grün. Rot ist immer am besten. Es
würde so wunderbar so Goethes schwarzen Zylinderhut passen, hätte er ihn mir
geschenkt. Oder zumindest zu Becketts Melone. Auch ohne Hut passt Rot, immer in
eine Geschichte, in das Bild, das Du zeichnest. Langsam kommen weitere Details
hinzu, das Bild wird facettenreicher, plastischer, wenn auch nicht unbedingt
bunter. Wenn es weit genug gediehen ist, dann lädt es Dich ein einzutreten, und
Du folgst dieser Einladung. Nicht unbedingt immer gerne. Versuchst Dich an
Ausreden, dass Du mal gerade keine Zeit hast oder in diesem Leben, dem
eigentlichen Leben gebraucht wirst, dass der Abwasch noch ansteht oder die
ungewaschene Wäsche sich türmt oder die Marmelade am Tisch klebt, aber irgendwo
findet sich schon ein Plätzchen, wo Du Dich mit Deinen Wortmalutensilien
aufbauen kannst oder einigeln, an dem Du all diese unerledigten Dinge nicht
siehst. Musst Dir halt ab und zu den Vorwurf gefallen lassen, dass Du nichts
verstehst vom richtigen Leben und seinen Anforderungen, dass Du Dich da in
irgendeinem Traumreich verfangen hast. Kann gut sein, meinst Du, während Du
bedächtig und gedankenschwer das Haupt wiegst. Ja, das kann schon gut sein,
dass Du lebensuntüchtig bist, bezüglich der Anforderungen, die das reale,
richtige, echte Leben stellt. Doch was sollst Du machen, wenn das Bild Dich
einlädt und Du Dich infisziert findest ohne Heilungsmöglichkeit. Dann musst Du
schreiben. Dann kannst Du nicht anders als ein Wort nach dem anderen
hinzuschreiben, bis Du zufrieden bist mit Deinem Bild, bis es klar und
eindeutig vor Dir liegt. Wie gerne, ach wie gerne lässt Du Dich manchmal
verführen von ihrem Wohlklang, betören von ihrer Süße. Wie gerne, ach wie gerne
lässt Du Dich entführen aus dem ewig Gleichen in ein anderes Leben, in mehrere
andere Leben, in viele andere Leben, die sich Dir nebeneinander eröffnen.
Verstehst Du Denn nicht, dass es nicht genug ist, dieses eine, dass meine
Phantasie soviel mehr entwirft, und wenn Du sie nicht ausführst, wenn Du sie
nicht herausläßt, dann füllen sie Dich an wie Helium einen Luftballon, bis Du
platzt. Manchmal führen sie Dich hinab, in die tiefsten Tiefen, und manchmal
lassen sie Dich fliegen, weit und hoch. Schreiben sind Reisen in Länder, die es
nur in Deinem Kopf gibt, und wenn Du nicht aufpasst, kann es eine Reise ohne
Rückkehr sein. Schreiben entführt Dich, doch niemand sagt, dass Du den Weg nach
Hause wieder findest, oder finden willst. Natürlich kann es brach liegen.
Jahrelang kannst Du das Virus in Dir tragen ohne dass es auch nur ein Anzeichen
zeigt, ohne auszubrechen, doch wiege Dich nicht zu früh in Sicherheit, denn es
ist da, unauslöschlich. Du kannst nichs dafür, dass Du Dich damit infisziert
hast. Aber das tut auch nichts zur Sache, denn nie kann jemand was dafür. Ganz
egal ob jemand was dafür könnte oder nicht, es ist nun mal wie es ist, und Du
musst damit leben, dass Du krank bist, dass Du Dich darauf eingelassen hast,
ohne zu wissen worauf. Du kannst es lassen, eine Weile, aber Du kannst nie mehr
wieder wirklich aufhören.
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