1311 Schreiben ist eine Sucht


Schreiben ist eine Sucht


Schreiben ist eine Sucht. Du kannst nicht einfach aufhören, wie es Dir gefällt. Es ist wie ein Virus, den Du Dir einmal eingefangen hast, und der Dich nie wieder loslässt. Manchmal bricht er aus, wie ein Vulkan, feuerst Du die Gedanken aus Dir heraus, und Du hast nichts weiter zu tun als sie einzufangen bevor sie verglühen. Manchmal brodelt es nur leicht vor sich hin, wie eine leichte Verkühlung, bei der Du weder richtig krank noch richtig gesund bist. Eruptiv oder schleichend, aber auf jeden Fall ein entrückend. Das Leben läuft neben Dir wie es eben läuft, während Du in Deiner Geschichte bist. Du findest das Bild. Vielleicht ist es zunächst nur ein Ausschnitt, eine Tür, ein Fenster, eine Wolke, eine Blume, oder gar nur ein Farbklecks, in schlichtem Rot, Schwarz oder Grün. Rot ist immer am besten. Es würde so wunderbar so Goethes schwarzen Zylinderhut passen, hätte er ihn mir geschenkt. Oder zumindest zu Becketts Melone. Auch ohne Hut passt Rot, immer in eine Geschichte, in das Bild, das Du zeichnest. Langsam kommen weitere Details hinzu, das Bild wird facettenreicher, plastischer, wenn auch nicht unbedingt bunter. Wenn es weit genug gediehen ist, dann lädt es Dich ein einzutreten, und Du folgst dieser Einladung. Nicht unbedingt immer gerne. Versuchst Dich an Ausreden, dass Du mal gerade keine Zeit hast oder in diesem Leben, dem eigentlichen Leben gebraucht wirst, dass der Abwasch noch ansteht oder die ungewaschene Wäsche sich türmt oder die Marmelade am Tisch klebt, aber irgendwo findet sich schon ein Plätzchen, wo Du Dich mit Deinen Wortmalutensilien aufbauen kannst oder einigeln, an dem Du all diese unerledigten Dinge nicht siehst. Musst Dir halt ab und zu den Vorwurf gefallen lassen, dass Du nichts verstehst vom richtigen Leben und seinen Anforderungen, dass Du Dich da in irgendeinem Traumreich verfangen hast. Kann gut sein, meinst Du, während Du bedächtig und gedankenschwer das Haupt wiegst. Ja, das kann schon gut sein, dass Du lebensuntüchtig bist, bezüglich der Anforderungen, die das reale, richtige, echte Leben stellt. Doch was sollst Du machen, wenn das Bild Dich einlädt und Du Dich infisziert findest ohne Heilungsmöglichkeit. Dann musst Du schreiben. Dann kannst Du nicht anders als ein Wort nach dem anderen hinzuschreiben, bis Du zufrieden bist mit Deinem Bild, bis es klar und eindeutig vor Dir liegt. Wie gerne, ach wie gerne lässt Du Dich manchmal verführen von ihrem Wohlklang, betören von ihrer Süße. Wie gerne, ach wie gerne lässt Du Dich entführen aus dem ewig Gleichen in ein anderes Leben, in mehrere andere Leben, in viele andere Leben, die sich Dir nebeneinander eröffnen. Verstehst Du Denn nicht, dass es nicht genug ist, dieses eine, dass meine Phantasie soviel mehr entwirft, und wenn Du sie nicht ausführst, wenn Du sie nicht herausläßt, dann füllen sie Dich an wie Helium einen Luftballon, bis Du platzt. Manchmal führen sie Dich hinab, in die tiefsten Tiefen, und manchmal lassen sie Dich fliegen, weit und hoch. Schreiben sind Reisen in Länder, die es nur in Deinem Kopf gibt, und wenn Du nicht aufpasst, kann es eine Reise ohne Rückkehr sein. Schreiben entführt Dich, doch niemand sagt, dass Du den Weg nach Hause wieder findest, oder finden willst. Natürlich kann es brach liegen. Jahrelang kannst Du das Virus in Dir tragen ohne dass es auch nur ein Anzeichen zeigt, ohne auszubrechen, doch wiege Dich nicht zu früh in Sicherheit, denn es ist da, unauslöschlich. Du kannst nichs dafür, dass Du Dich damit infisziert hast. Aber das tut auch nichts zur Sache, denn nie kann jemand was dafür. Ganz egal ob jemand was dafür könnte oder nicht, es ist nun mal wie es ist, und Du musst damit leben, dass Du krank bist, dass Du Dich darauf eingelassen hast, ohne zu wissen worauf. Du kannst es lassen, eine Weile, aber Du kannst nie mehr wieder wirklich aufhören.

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