2. Die verschlossene Türe
Wie viel Zeit wohl schon vergangen sein mag? Wie lange sie wohl hier gestanden sind, durch nichts erhellt, als durch diese eine Kerze? Sie spürt die Kälte nicht mehr, aufgehoben in der Sanftheit eines unbekannten Blickes. Sie sieht nicht mehr auf die Uhr. Es spielt keine Rolle mehr. Bis sie sich zuletzt doch besinnt. „Mein Gott, was tust Du da überhaupt?“, sagt sie zu sich selbst, „Komm wieder runter und geh endlich!“ Sie ist streng mit sich selbst, und folgsam. Also dreht sie sich um, dennoch zaghaft. Sie will nicht gehen. Es kommt ihr vor, als müßte sie aufhören da zu sein, wenn sie aus diesem Blick heraustritt. Das fasst sie natürlich nicht in Worte, versteht sich, nur, dass sie bleiben will und dennoch geht, das fasst sie, geht, langsam den Bahnsteig entlang, geht, langsam die Treppe hinunter, geht, langsam durch die Halle, geht, langsam bis zur Eingangstüre. Träumerisch legt sie die Hand auf die Klinke und zieht die Türe zu sich, vielmehr, sie versucht es, denn die Türe rührt sich keinen Millimeter. Sie versucht es nochmals, doch wiederum ohne Erfolg. Abermals versucht sie es, diesmal mit mehr Nachdruck, und als die Türe sich immer noch nicht bewegt, spürt sie wie langsam Panik in ihr aufsteigt. Die Halle, so wie der Bahnsteig, menschenleer und quälend still, und sie kann nicht hinaus, niemals mehr hinaus. Plötzlich vernimmt sie Schritte hinter sich, die rasch näherkommen. Sie hat Angst, blanke, nackte Angst. Sie zerrt an der Türe wie wild, während die Schritte unaufhaltsam näher kommen. Im letzten Moment dreht sie sich um, und blickt in die bekannten, sanften Augen, die ihr vorhin am Bahnsteig bereits begegnet waren, nun nahe, und sie erkennt im Schein zweier Kerzen die kleinen Fältchen, die seine Augen umrahmen. Er lächelt, ja verdammt, er lächelt sie an, während er leichthin die Türe nach außen drückt und öffnet.
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