Zäsur
Zuerst
war es nur so ein Jucken auf der Haut, direkt unter der linken Brust. Es juckte
und ich kratzte, wie es eben so üblich ist, doch das Jucken wurde immer
lästiger. Es wollte kaum mehr aufhören. Vielleicht sollte ich mich öfter
eincremen, damit die Haut sich erholen könnte, denn die Stelle war vom vielen
Kratzen schon ganz rot und ausgetrocknet. Also cremte ich. Es wurde besser,
verheilte, so dass ich wieder nachlässig wurde, und das Jucken kam wieder.
Immer trockener wurde die Haut. Auch das cremen half nicht mehr. Die rote
Stelle wurde hart und unzugänglich, und eines Tages begann sich die Haut zu
wölben, direkt unter der linken Brust, wuchs an zu einer regelrechten
Geschwulst. Es sah aus, als hätte ich eine dritte Brust. Widerlich war es
anzusehen, wie eine große Pestbeule. Ich sah weg, weil mir ekelte, vor mir
selbst. Sie füllte sich mit Eiter und eines Tages hielt ich es nicht mehr aus.
Ich nahm ein scharfes Messer und schnitt sie auf. Beim Anblick des Eiters
musste ich mich übergeben. Schmierig und stinkend floss es über meinen Bauch.
Ich versuchte es wegzuschrubben. Das Eiter war seltsam klebrig, wie Teer und
der Gestank hielt sich tagelang, doch die Beule war verschwunden, zumindest
das, doch dann begann sie sich wieder zu füllen, bis sie wieder so groß war wie
zuvor, gelblich und rot glänzend. Wieder schnitt ich sie auf, doch diesmal
musste ich mich nicht übergeben. Man gewöhnt sich. Sogar an Eiterbeulen. Mit
der Zeit wurde es zur Routine, beinahe. Jedes Mal ein kleiner Schnitt, jedes
Mal ein kurze Zeit Erleichterung, doch die Zeitspanne zwischen einem und dem
nächsten Schnitt wurde immer kürzer, die Haut war bereits von Schnitten
übersät. Mittlerweile waren es nur mehr wenige Stunden. Ein tiefer Schnitt,
dachte ich, eine Zäsur, es ganz herausschneiden, einmal ganz tief hinein, dann
wäre es weg, für immer, bloß einmal diesen Schmerz ertragen, statt ständig
einen kleinen nach dem anderen. Aber das saß tief, das breitete sich in ihr
aus, wie ein Pilzgeflecht. Überall spürte sie es, in ihr, überall. Wie tief sie
wohl schneiden musste, wenn sie diese Geschwulst mitsamt allen Ausläufern
wegbringen wollte, für immer? Wie tief musste der Schnitt gehen um sie für
immer zu befreien? War es nicht wie bei diesem hartnäckigen Unkraut, das seine
Wurzeln großflächig ausdehnt, so dass es kaum möglich ist wirklich jede
einzelne davon auszugraben und zu eliminieren? War es nicht ein sinnloses
Unterfangen auch nur anzusetzen? Und doch, es wäre eine Zäsur, denn das
Geschwulst füllte sich nicht nur ständig mit Eiter, es sog auch ihre Kräfte
aus, und mit jedem Schnitt fühlte sie sich leerer und kraftloser, ausgelaugt
wie ein trockener Schwamm, dürstend. Ein tiefer Schnitt, womöglich, nur ein
tiefer Schnitt, und es wäre vorbei, ein für alle mal vorbei, mit der
Geschwulst, oder mit ihr. So konnte sie
nicht weitermachen. Nur ein tiefer Schnitt, und sie hätte es überstanden, wie auch
immer. Sie nahm das Seziermesser und setzte den Schnitt, knapp unterhalb ihrer
linken Brust. Sorgfältig schnitt sie um die Beule herum. Die Haut spaltete sich
wie warme Butter unter dem scharfen Messer. Wie lahm doch die Nerven sind. Noch
spürte sie nichts. So wurde sie mutiger. Mit einem Ruck stach sie zu, bohrte
das Messer bis zum Schaft in ihr Fleisch und umrundete den inneren Teil der
Beule, bis sie abfiel und ihr die Sinne schwanden. Jetzt traf er sie mit voller
Wucht, völlig unvorbereitet, der Schmerz in all seiner Heftigkeit, durchzuckte
sie wie ein Blitz, gefolgt vom Donner einer wohltätigen Ohnmacht. Als man sie
fand war alles ruhig und still, um sie und in ihr. Der Schmerz war verklungen,
und die Haut unter der linken Brust unverletzt und schöner als je zuvor. Das
hätte sie gerne noch einmal gesehen.
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