Vorsatz
Vorsatz,
nennt man das in der Juristensprache, wenn etwas schon lange geplant war, und
sie hatte es schon lange geplant. Mit der ihr eigenen Akribie hatte sie sich
informiert über die beste, effektivste und vor allem einfachste Lösung für ihr
Problem. Es war gar nicht so leicht Erkundigungen einzuziehen und gleichzeitig
niemanden ihre wahren Absichten auch nur erahnen zu lassen. Mit größter
Sorgfalt und Vorsicht war sie vorgegangen. Zudem versuchte sie ihrer Umwelt
aufgeräumter Heiterkeit und Lebensfreude zu vermitteln. Das fiel ihr besonders
schwer, doch es gelang ihr. Wenn sie allein war konnte sie sich erholen, von
all dem Frohsinn und der Wohlgelauntheit. Wenn sie allein war konnte sie sein.
Sie empfand es als eine ungeheure Anstrengung so zu tun als ob, allerdings
musste sie es nicht mehr lange durchhalten, denn sie hatte schließlich alles
was sie brauchte. Heute Abend würde es so weit sein. Vorfreude erfüllte sie bei
dem Gedanken, dass sie sich dann nicht anstrengen müsste, dass dann alles
leicht sein würde. Am späten Nachmittag kam sie nach Hause. Sorgfältig räumte
sie die Wohnung zusammen. Die Spritzen legte sie griffbereit auf den
Couchtisch. Sie hatte sich hübsch gemacht. Schließlich war es ein ganz
besonderer Anlass, dieser letzte Abend.
„Ihr habt keine Schuld“, lautete ihr Abschiedsbrief, kurz und bündig.
Sie sollten sich endlich nicht mehr ihren Kopf zerbrechen, sollten endlich
nicht mehr darüber nachdenken müssen was sie zu tun hätte oder wie sie ihr
Leben zu gestalten hatte, damit sie glücklich wäre. Sie sollte doch verdammt
nochmal endlich leben wie ein normaler Mensch in einem normalen Leben. Da
stimmte irgendetwas nicht. Sie ging ja noch nicht einmal einer richtigen,
geregelten Arbeit nach. Trotzdem verhungerte sie nicht. Niemand verstand das,
und sie selbst schwieg sich darüber aus. Und da war dann noch ihr seltsames
Liebesleben. Sie war schon seit Jahren mit ihrem Freund zusammen, wie man so
schön sagt, und die beiden zeigten nicht die mindeste Ambition ihre Beziehung
zu verfestigen, nach außen, mit zusammenziehen oder heiraten oder Kinder
bekommen, wie das die Leute halt mal so machen. Die wohnten in zwei Wohnungen,
nicht einmal weit voneinander entfernt, was doch schon rein ökonomisch ein
Unsinn war. Sie mussten sich darüber keine Gedanken mehr machen, und ihn, ja
ihn würde sie überraschen. Er hatte es so gewollt. Vielleicht war es im Scherz
gesagt worden, damals, aber sie nahm es ernst.
Im
Affekt, nennt man das in der Juristensprache, wenn man einer plötzlichen
Eingebung folgt. Er hatte es getan und stand plötzlich neben ihr. Dabei war das
gar nicht sein Tag. Sie hatten eine ganz genaue Besuchsregel vereinbart, jeden
zweiten Mittwoch und jedes zweite Wochenende, und heute war Dienstag. Er konnte
auch nicht genau sagen warum er jetzt dastand, so außerhalb aller Regelung.
Irgendetwas hatte ihn dazu getrieben zu kommen. Und sie, sie ärgerte sich, dass
sie vergessen hatte die Türe abzuschließen. Morgen hätte er sie finden sollen,
aber nicht heute kommen, gerade im ungünstigsten Moment. Wortlos stand er neben
ihr, ließ den Blick hin und her pendeln zwischen den Spritzen auf dem Tisch und
ihr. Sie stand auf, räumte die Spritzen und den Abschiedsbrief weg. Nun, dann
sollte es eben heute nicht sein. Es würde sich finden. Es war nur schade,
dieser Abend wäre perfekt gewesen. Anschließend ging sie in die Küche um für
ihn zu kochen. Er war immer hungrig, wenn er zu ihr kam. Zumindest jeden
zweiten Mittwoch und jedes zweite Wochenende.
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