0102 Und bist Du nicht Willens ...


Und bist Du nicht Willens ...


Es gibt Dinge, die kann man nun mal nicht ändern. Das Wetter zum Beispiel oder das Schicksal oder die Folgen von Entscheidungen, die man trifft. Sie verhielt sich dennoch ziemlich störrisch in letzter Zeit. Sie meinte ihren Willen durchsetzen zu können, einfach nur, weil sie es sich einbildete, dass sie das oder das gerade wollte oder eben etwas nicht wollte. Dabei gab es nun mal Dinge, auf die er ein Recht hatte, seit sie einander das Ja-Wort gegeben hatten. Doch sie konnte sich einbilden was sie wollte, seine Rechte ließ er sich nicht nehmen, und wenn sie nicht Willens war, dann brauchte er eben Gewalt. Nein, nicht so, dass er ihr die Knochen brach oder Blutergüsse auf ihrer zarten Haut zu sehen waren. Vielleicht ist Gewalt auch das falsche Wort. Angebrachter wäre wohl zu sagen, dass er ihrem Wollen etwas nachhalf, und wenn er dann keuchend und schwitzend auf ihr lag, dann schien es ihr auch gar nichts auszumachen. Sie hatte einen Weg gefunden. Sie schlüpfte einfach aus sich heraus, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und fühlte nichts mehr, roch noch nicht einmal den ekelhaften Geruch des Alkohols in seinem Atem. Sie stand auf und schlenderte zum Fenster. Sie wollte nicht zusehen. Es war ekelhaft, was da der anderen passierte. Sie konnte aber auch nicht ganz weggehen. So stand sie einfach am Fenster und sah hinaus auf die menschenleeren, nächtlichen Straßen. Die Nachbarn hatten mal wieder ein neues Auto, stellte sie beiläufig fest, und die Wäsche gehört noch gewaschen. Bei denen, bei den Nachbarn, da passt einfach alles. Der Frau kann das nicht passieren, was Dir gerade passiert, denn die ist immer willig. Da braucht er bloß zu gucken und alles ist geritzt. Wenn Du Dich auch immer so anstellen musst. Eigentlich geschieht es Dir recht. Wenn Du keinen Mann hättest haben wollen, dann hättest Du Dir eben keinen genommen. Aber dann hätten wir jetzt das schöne Haus nicht und den Garten und den Urlaub in der Karibik im Sommer und den Urlaub im Winter in St. Moritz. Für all das hat er sich doch wohl ein wenig Zuwendung verdient. Nein, Du bist einfach zu verstockt. Nimmst alles und willst nichts dafür geben. Das kann ja nicht gutgehen. Sie sah auf ihre Fingernägel. Warum nagst Du die immer so ab? Bist Du so nervös? Das muss sich auch ändern. Du kannst doch nicht Fingernägel kauen, wo Du doch alles hast und es Dir gut geht. Das was hier, passiert, das hast Du Dir selber zuzuschreiben. Und fang jetzt bloß nicht an zu flennen. Du weißt, ich kann das ganz und gar nicht leiden. Morgen solltest Du mit der Kleinen mal zum Arzt gehen. Die hustet so viel. Hörst Du es denn nicht? So was muss man doch hören, als Mutter, und Du hast ja eh gerade nichts zu tun. Bei den Nachbarn, ja, da passt alles. Es ist ja auch so einfach glücklich zu sein, wenn Du bloß ab und zu über Deinen Schatten springen würdest. Aber nein, Du bist so stur, Du sagst, Du könntest das nicht, weil er nicht auf Dich zugeht, und weil er nicht zärtlich ist. Ist das leicht nichts? Ist er nicht gerade unheimlich zärtlich? Ja, unheimlich ist vielleicht übertrieben, aber schon ein bisschen zumindest. Du gehörst wohl zu den Frauen, die alles haben, und doch mit nichts zufrieden sind. Deshalb bist Du im Unrecht und nicht er, denn er hat sich ein wenig Entspannung und Verständnis verdient. Dann wird es still im Zimmer. Er steht auf und geht zum Fernseher zurück. Irgendetwas wird schon laufen. Sie schlüpft zurück in sich und kauert sich ganz klein zusammen unter der Decke. Warum kann sie nicht einfach weggehen und alles hinter sich lassen? Warum kann sie sich dem nicht entziehen? Sie hat Verantwortung, und deshalb gibt sie sich einen Ruck und steht auf. Die Wäsche muss noch gewaschen werden. 

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