2606 Der Übersetzer (Teil 3)


Der Übersetzer (Teil 3)


„Alles, alles falsch! Sie muss das ändern“, reklamierte er immer und immer wieder. Er kannte ihr Werk so gut, und er bewunderte ihre Stringenz, diese Einzigartigkeit im sich Fügen und Aneinanderschmiegen von Worten und Bedeutungen, doch das, das hatte sie falsch gemacht, völlig falsch, schließlich wusste er, wann sie welche Worte zu benutzen hatte, wo ein Beistrich zu setzen, ja wo eine Atempause zu machen war. Und jetzt das? Das konnte er nicht hinnehmen. Das war nicht mehr sie, nicht mehr die Worte, die aus ihrer Feder zu kommen hatten, nicht mehr richtig. Alles, alles falsch! Doch was konnte er tun, sie war vom Weg abgekommen, hatte sich verraten. Nein, nicht sich, sie hatte ihre Literatur verraten, und damit ihn. Er musste handeln, musste dieses Unrecht wieder gut machen. Doch wie? Er konnte sie nicht anrufen, denn der Anschluss war tot, warum auch immer. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie ihn nur so hintergehen, ihn und seine Hingabe. Seine Liebe zu diesem Werk, sie war so rein und kristallklar wie ein Bergsee in der Morgensonne, doch sie hatte ihr Gift darein gegeben, hatte die Worte vergiftet, verdreht, verunstaltet und diskreditiert. Sie musste das wieder gut machen. Musste, musste, musste einfach, doch wie sollte er es angehen? Es konnte nur einen Weg geben. Er musst zu ihr fahren, musste sie dazu bringen das alles richtig zu stellen.

„Mein Gott, wie siehst Du denn aus?“, sagte Nana, von ehrlichem Entsetzen gepackt, als er eine halbe Stunde später in ihrer Türe stand, denn Fritz Freundlich, der nun nicht mehr freundlich war, bot einen grauenhaften Anblick, unrasiert und stinkend. „Du musst das richtig machen!“, sagte er nur, während er in die Wohnung drängte. „Was richtig machen?“, fragte sie erstaunt. „Das mit dem Roman. Das ist alles total falsch“, wiederholte er, das, was er schon die ganze Zeit in sich hinein sagte. „Das ist schon richtig so, es ist alles goldrichtig. Ich bin dabei mich zu entfalten und einen neuen Stil zu entwickeln. Ich will wachsen und mich erweitern. Ich bin auf einem guten Weg, denn Du hast es bemerkt“, entgegnete Nana lächelnd, doch er sah sie an, mit dieser Starrheit im Blick, die sie noch nie an ihm wahrgenommen hatte. „Nein, Du kannst nicht Deinen Stil ändern. Das darfst Du nicht, denn dann ist es nicht mehr richtig. Du hast mich in die Falle gelockt, mit den Worten, die in mir eine Melodie erwachen lassen, mich zum Klingen bringen, das muss so bleiben. Das ist alles falsch“, beharrte er. „Und was stellst Du Dir vor, dass ich für Dich jetzt alles umschreibe?“, fragte sie, und jeder andere hätte den zynischen Unterton nicht überhört, jeder andere, nur Fritz tat es. „Ja, umschreiben, neu schreiben, das ist es, Du musst alle Fehler ausbessern, es neu schreiben“, brabbelte er vor sich hin, „Du musst es tun. Es muss richtig sein!“ „Das werde ich nicht tun, denn es ist mein Roman, und den schreibe ich so wie ich es für richtig halte“, entgegnete sie, „Und Du wirst jetzt meine Wohnung verlassen.“ Doch anstatt ihrer Aufforderung nachzukommen, fesselte er sie und legte sie auf die Couch. Der Knebel hinderte sie daran zu schreien oder sich sonst wie bemerkbar zu machen. „Wenn Du es nicht tust, dann tue ich es“, meinte er. Damit setzte er sich an ihren Schreibtisch und schrieb den Roman neu, von Anfang bis Ende, und als er fertig war, schickte er diesen zum Verlag und ein Exemplar nahm er mit um es zu übersetzen. „Jetzt ist es richtig“, flüsterte Fritz Nana ins Ohr bevor er ging, doch sie hörte es nicht mehr. Irgendwann während der letzten Tage, die sie gefesselt und geknebelt auf ihrer eigenen Couch lag, war sie erstickt. Es tat nichts zur Sache, denn jetzt hatte er es wieder richtig gestellt. „Jetzt ist es richtig, ganz richtig“, murmelte er immer wieder vor sich hin, und freute sich ihrer Worte, die etwas in ihm zum Klingen brachten.

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