2506 Der Übersetzer (Teil 2)


Der Übersetzer (Teil 2)


Fritz Freundlich hatte aufgehört freundlich zu sein. Entgegen seiner bisherigen Gewohnheit, vergaß er einfach darauf. Nicht, dass er nun unfreundlich war, aber er war einfach nicht mehr freundlich. Er hörte auf die Nachbarin oder den Gasableser zu grüßen. Er hörte auf nach deren Befinden, dem Befinden der Kinder, der Eltern, der Urstrumpftante zu fragen. Nicht, dass er es nicht tun wollte, er bemerkte die Menschen um sich nicht mehr. Und sein Nicht-mehr-freundlich-sein war ebenso wahllos und konsequent wie sein vorheriges Freundlich-sein. Es war, als wäre er aus seiner bisherigen Welt herausgekippt, hatte die Sandalen ausgezogen und in die Siebenmeilenstiefel der literarischen Welt gestiegen, und das war Nanas Welt. Er war in ihr, das heißt in ihren Worten, hinter den Worten, um die Worte, er war die Worte. Längst hatte er alles übersetzt. Für drei Sprachen war er ausgebildet und in alle drei Sprachen hatte er all ihre Werke übersetzt. Nun harrte er des Kommenden. „Nana, wie geht es Dir?“, fragte er, wie jeden Morgen, auch an diesem. „Gut, danke“, antwortete Nana, auch wie jeden Morgen, und es stimmte wohl auch, meistens zumindest. „Wie kommst Du mit Deinem neuen Roman voran?“, war die nächste Frage, und das war die um die es eigentlich ging. Er hätte ebenso gut die erste auslassen können, denn er hörte die Antwort noch nicht einmal wirklich, weil es ihn auch nicht interessierte, nur diese zweite, nur die war wichtig. „Es geht voran. Warum setzt Du mich unter Druck?“, entgegnete sie, und auch hierin gab es eine Regelmäßigkeit. „Ich will Dich doch nicht unter Druck setzen. Ich will nur Interesse zeigen“, schwächte er ab, oder versuchte es zumindest. Von Tag zu Tag wurde es unglaubwürdiger. Von Tag zu Tag wurde er bestimmender und fordernder, und Nana begann sich ein klein wenig unwohl zu fühlen, unwohl genug, um ihren Festnetzanschluss abzubestellen. Dann konnte er nicht mehr anrufen, aber was für Höllenqualen stand er durch. Natürlich, er hätte auch etwas anderes übersetzen können, hätte sich anderen Dingen z.B. seiner Freundin widmen können. Ach nein, das ging ja nicht mehr. Vor einigen Tagen stand Ines in der Türe und verkündete, dass sie sich von ihm trennen würde. Dann murmelte sie noch so etwas wie, dass es eigentlich nur mehr Formsache wäre, weil er sie ja doch schon seit Wochen nicht mehr wahrnahm und es ihn eh nicht interessierte, woraufhin er so etwas ähnliches sagte wie, „Ist recht, meine Liebe“, und dann ging sie. Nun ja, sollte sie, er hatte ja diese Worte, und er brauchte nicht mehr. Doch jetzt war ihm der Stoff ausgegangen, und die, die ihm diesen liefern sollte, kam dem einfach nicht nach. Schließlich tat er nichts anderes mehr, als zu warten. In seiner Wohnung verbarrikadiert erwartete er diesen Roman, von dem sie ihm erzählt hatte. Alles was er brauchte ließ er sich liefern. Es ist ja heute alles so einfach, mit Internet und all dem anderen. Er vergaß sich zu waschen, die Wohnung zu putzen, denn er hatte Angst, Angst den Moment zu verpassen, in dem das Werk geliefert wurde. Aufrecht saß er auf seinem Stuhl, den er gegenüber der Türe platziert hatte. Darin saß er, den ganzen Tag, die ganze Nacht. Manchmal sank er zurück und nickte ein, aber niemals für lange, denn bei dem kleinsten Geräusch schreckte er hoch. Sollte das jetzt der Briefträger gewesen sein? Hatte er die Lieferung verpasst? Das durfte auf gar keinen Fall passieren, denn dann steckte der Briefträger den gelben Zettel in den Briefkasten und er hätte die Wohnung verlassen müssen, um den langen Weg zur Post auf sich zu nehmen. Ihm graute allein bei dem Gedanken daran, doch dann war es endlich so weit, das Paket kam, der neue Roman, und er stürzte sich sofort darauf. Drei Sätze las er. „Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Das ist doch alles falsch“, hätte man ihn murmeln hören können, wenn man dabei gewesen wäre, doch er war allein, und aus dem Murmeln, begleitet von heftigem Kopfschütteln wurde ein lauteres Sprechen, das bis zum Schrei anschwoll, „Das ist alles falsch!“

Keine Kommentare: