3007 Erwartungen

Was es zu erwarten gilt ist nichts im Vergleich zu
dem was immer im Dunklen des Unerwarteten verborgen bleibt. Du meinst Dein Weg
liegt hell und klar vor Dir, gerade und eben, bis plötzlich eine Hand
hervorschießt und die Festigkeit der Fläche auf der Du auftrittst aufweicht.
Die Hand, die Dich am Knöchel packt und diesen fest umklammert, aufhält. Du
strauchelst und musst acht geben nicht zu stürzen, denn Du warst im
Vorübereilen, wie imemr im Vorübereilen, als die Hand wie aus einem Morast hervorschoss,
Deinen Knöchel packte und dabei war Dein anderes Bein bereits nach vorne
geworfen. Unvermittelt fühlst Du Dich gehalten. Und der Griff ist fest. Nägel
bohren sich in Dein nacktes Fleisch. Hättest Du doch die lange Hose angezogen
denkst Du hintergründig, denn dann hätte Dich diese Hand nicht so fest halten
können. Sie wäre abgerutscht und Du hättest sie leicht abschütteln können, doch
so verschmilzt Haut mit Haut, schweißnass und schmierig, sich ballend zu einem
klebrigen Film, und die Nägel sitzen in Deinem Fleisch, aus dem sich Blut löst,
als würde es einen Unterschied machen, als wäre es jemals anders, und doch
niemals gleich, nur weil der Fuß sich rot färbt von dem Blut, das aus den
Wunden fließt, die die Nägel in das Fleisch, das zarte, rosige, schweinchenhafte,
reißen. So ziehst Du an Deinem Bein, doch umso mehr Du ziehst, desto fester
wird der Griff, desto nachhaltiger das Eindringen der Nägel. Nicht nur, dass Du
nicht entkommen kannst, die Hand zieht Dein Bein hinein in den Morast, der
vormals festes Erdreich war. Schon ist die Sohle Deines Schuhs darin
verschwunden. Vorsicht! Du lässt kurz locker, entspannst den Zug. Vielleicht
weil Du meinst, dass die Hand dann auch locker lässt, weil Du meinst, dass sie
doch irgendwann erschöpft sein muss, denn was vermag denn schon so eine Hand
alleine, wie lange kann sie einen ganzen Menschen festhalten, der mit all
seiner Kraft versucht sich loszureißen, denn die Hand ist das einzige was Du
siehst, und deshalb meinst Du auch, dass die Hand Dein einziger Feind ist, oder
der ganze. Nur die Hand siehst Du, wie sie dem Morast so unvermittelt
entstiegen ist, und nicht mehr, und was Du nicht siehst, das gibt es auch
nicht. „Du siehst mich nicht“, sagt das kleine Kind, wenn es sich die Augen
zuhält. „Du bist nicht da“, sagst Du zu dem was nicht Hand ist und dennoch mit
dieser Hand verbunden ist, weil Du es nicht siehst, nur nicht siehst. Dein
Feind, meinst Du, ist nur diese Hand. Wahrlich, der Griff scheint sich zu
lockern, weil Du vorgibst nicht mehr dagegen zu kämpfen. Du wiegst die Hand in
Sicherheit, um dann explosionsartig an Deinem Bein zu reißen, doch die Hand
reagiert genauso schnell und sie behält Dein Bein, das nun getrennt von Deinem
restlichen Körper ist, widerstands- und kraftlos, und die Hand zieht sie hinab
in den Morast. Du balancierst auf einem Bein, siehst aus den Augenwinkeln,
fassungslos, wie Dein Bein verschwindet, und sich der Morast schließt und
wieder zu fester Erde wird. Du könntest jetzt hierbleiben und jeden warnen, der
vorbeikommt, innezuhalten, vorsichtig zu sein, doch stattdessen humpelst Du
unverdrossen weiter, und vergisst, das das, was es zu erwarten gilt nichts ist
im Vergleich zu dem, was immer im Dunklen des Unerwarteten verborgen bleibt.
Vielleicht ist es als nächstes Dein Arm, den Du verlierst, oder Dein Herz, aber
das würde wohl keine Rolle spielen.
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