Für 30 Silberlinge
„Eine gute Entscheidung. Vielleicht bist Du
doch nicht der Feigling, für den ich Dich gehalten habe, feig und habgierig“,
sagte Maria, als sie Judas vorfand, am Blutacker, als er die Schlinge wand,
durch die er seinen Kopf stecken konnte.
„Maria, Du bist ein guter Mensch, ich weiß
es, und Du weißt es, aber dennoch wirst Du ebenso schlecht wegkommen wie ich.
Vielleicht ein wenig besser, wenn ich schon einen Vergleich wage. Aber was
werden sie von Dir sagen? Hure? Verschwenderin?“, fragte Judas Ischariot im
Gegenzug.
„Du weißt, dass es mir gleichgültig ist,
was sie nach mir von mir sagen, aber Er hat mein Herz berührt, wie keiner vor
Ihm. Was ich getan habe, das habe ich für Ihn getan, denn Sein Wort ist der
Weg, die Wahrheit und das Leben. Weißt Du wie es ist zu leben, endlich zu leben
und zu atmen?“, wandte Maria ein, die die Magdalenerin genannt wurde.
„Oh ja, ich weiß es, jetzt weiß ich es, wo
es zu spät ist, und doch, Er hat es erkannt, von Anfang an erkannt. Er hat mich
berufen, und ich ging mit Ihm, aber ich sah die vollen Kassen und die ebenso
vollen Teller, die Ihn und die Seinen überall erwarteten. Ich habe auch mehr
als einmal zugelangt, ja, und ich hätte auch gerne die 30 Denare gehabt, die Du
so achtlos über Seine Füße leertest. Niemals hätte ich von mir selbst gedacht,
dass ich zu etwas fähig wäre, zu dem, was Er mir von Anfang an zutraute“,
meinte Judas rückblickend.
„Wer ein Dieb ist kann auch zum Verräter
werden. Warum auch nicht?“, setzte Maria nach.
„Du hast es also auch geglaubt, wie all die
anderen. Alle nennen sie mich Verräter. Und dabei habe ich nur meine Aufgabe erfüllt.
Wer außer mir hätte das gekonnt?“ fragte nun Judas.
„Wie meinst Du, Deine Aufgabe erfüllt?“,
fragte Maria irritiert.
„Ich habe vieles falsch gemacht, wie Du
weißt, aber es war wenige Tage vor diesem verhängnisvollen Mahl, da gelang es
Ihm auch mein Herz zu erreichen, gelang es Ihm mich zu ergreifen, und dann
sagte Er zu mir, Er würde mir die schwerste Aufgabe übertragen, wenn ich es
wolle. Er ließ mir die Wahl, wie ehedem Maria, Seiner Mutter, und ich sagte ja,
ja dazu Ihn auszuliefern an Schmerz und Leid und an den Tod. Er hatte es mir
erklärt, erklärt, dass es keinen anderen Weg gäbe, dass es irgendjemand tun
müsse. Ich liebte Ihn und sollte Ihn dennoch einem solchen Schicksal
ausliefern. Das erbat Er von mir“, versuchte Judas zu erklären, und die Trauer
lebte in seinen Augen. Maria sah, dass es war wahr, jedes Wort.
„So bist Du für Ihn zum Verräter vor der
Welt geworden? Aber warum hat Er denn nichts gesagt, nicht einmal seinen
engsten Freunden?“, fragte Maria.
„Weil sie es nicht mitgetragen hätten,
hätten sie es gewusst. Ich war auch wütend, als Er beim letzten Abendmahl das
Stück Brot reichte um mich öffentlich als der zu brandmarken, der ich nun bin,
der Verräter. Nach und nach erst verstand ich, dass Er nicht anders handeln
konnte. Sie sind doch wie die kleinen Kinder. Selbst Simon Petrus, der Fels.
Was das werden wird, aber ich hinterfrage es nicht. Ich habe meine Aufgabe
erfüllt“, erklärte Judas achselzuckend.
„Das hast Du, aber wenn es doch rechtens
war, warum willst Du Dich dann aufhängen?“, fragte Maria nachdenklich.
„Meinst Du denn, dass es auf dieser Welt noch
irgendetwas zu tun gibt, nachdem ich diese Aufgabe erfüllt habe?“, entgegnete
Judas ausweichend. Und er ging den Hals durch die Schlinge zu stecken. Er starb
leicht, noch bevor er wirklich in der Schlinge hing, als wäre er emporgehoben
worden. Und Maria bettete seinen Kopf in ihrem Schoß.
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